Soziales bestraft das Finanzamt

Interessante Aufschlüsse darüber, wie sozial der Staat ist – der ja auch ein Sozialstaat ist -, liefert ein Beitrag des Deutschlandfunk über die Probleme mit dem Finanzamt, die die offenbar durchaus zahlreichen sozialen Münchner Vermierter bekommen. Gerade der Mietmarkt offenbart einige größere Zielkonflikte mit Blick auf Bürgerinteressen.

Natürlich müssen Preise marktgerecht sein, um zu Steuerabzügen zu führen. Doch es ist aus gesellschaftlicher Sicht durchaus problematisch, wenn die Anerkennung von steuerlich unabdingbarem Gewinnstreben so stark abhängt von Anpassungen an einen überhitzten Wohnungsmarkt. Und nicht von eigenem wirtschaftlichem Kalkül.

Warum Richter rechnen und denken sollten

Richter können richten, nicht rechnen. An diesen alten und immer wieder wahren Satz musste ich bei diesem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden denken.

Die Richter sprachen drei Elternpaaren den Anspruch auf Schadensersatz ab, denen das Land – trotz bestehenden Rechtsanspruchs – keinen Kita-Betreuungsplatz anbieten konnte.

Der Anspruch sei ein Anspruch der Kinder auf frühkindliche Förderung, argumentierten die Richter, nicht ein Anspruch der Eltern beispielsweise auf die (so genannte) Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die sei nur Folge der Betreuung – also praktisch nicht deren Sinn, wenn ich jetzt mal dieses Argument und was die Richter damit vielleicht sagen wollen zu Ende denke.

Aber: Die Kinder sind ja vom Verdienstausfall betroffen.

Ich kenne jetzt die Verhältnisse der klagenden Eltern nicht im Detail, daher kann ich nicht beurteilen, in welchem Umfang genau. Aber im Extremfall sind die Kinder sehr wohl materiell, sozial und gesundheitlich betroffen, wenn die Eltern Einkommensverluste hinnehmen müssen. Darüber gibt es Studien. Und – mal ehrlich: dafür reicht schon Milchmädchen-Rechenkunst. Und das ist auch mehr als nur der Folgeschaden, den Heribert Prantl feststellt – der Schaden der Eltern betrifft den Haushalt, in dem die Kinder leben.

Auch vermisse ich einen Anhaltspunkt darüber, was denn nun dann die Konsequenz aus der Verletzung des Rechts der Kinder sein soll, die die Richter ja zugestehen. Keine? Welchen Wert hat dann ein Gesetz und darin verbriefte Ansprüche? Keinen?

Richter (und nebenbei bemerkt natürlich auch Rechtsanwälte und Staatsanwälte und alle sonstigen Juristen auch) brauchen aber nicht nicht nur offenbar nicht rechnen zu können, um Recht und Unrecht zu verhandeln und zu entscheiden. Sie kommen anscheinend sogar ohne Denken zumindest durch das Studium. Allem Anschein nach jedenfalls sind da kritische oder auch nur Verständnis-Nachfragen unerwünscht. Damit jedenfalls begründet der Verfasser dieses Textes seinen Studienabbruch.

Schon klar, dass Juristen die Gesetze kennen sollten. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Und bei der umfassenden und komplexen bis komplizierten Materie ist das Studium damit auch schon gut gefüllt. Natürlich.

Aber wer, wenn nicht Juristen, sollte deren Sinn und damit auch mögliche Verbindungen und Wechselwirkungen von Gesetzen und Rechtsgrundlagen verstehen lernen? Vielleicht mal die Frage überdacht haben, welchen Wert ein Gesetz hat, dessen Sinn die Betroffenen nicht einklagen können?

Ich würde da gern denken: “Juristen vielleicht…?”

System

Kein Frühstück, keine ausreichende Winterkleidung, kein Internet, kein Kino, kein Geld für Geburtstagsgeschenke. Verzicht gehört für arme Kinder zum Alltag, hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben. Und nicht nur zum Kinderalltag, dank weniger guter Ausbildung und somit weniger Chancen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch zum Erwachsenenalltag, später mal.

Das ist schrecklich. Und noch schrecklicher: Es hat System. Einer von vielen, die das seit Jahren schon sagt, ist Jürgen Borchert vom Landessozialgericht Darmstadt: Deutschland ist kinderfeindlich. Nicht die Menschen – das System. Oder besser die Systeme: Sozialsystem, Steuerpolitik.

Kindergeld: Die 168 Euro monatliches Geschenk vom Staat werden Hartz-IV-Beziehern abgezogen. Für Steuerzahler dagegen gilt: Wer gut verdient, bekommt mehr: ab einem bestimmten Einkommen – das deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen liegt, etwa die Hälfte drüber, die Grenzsätze schwanken immer mal – sparen Steuerzahler durch den Kinderfreibetrag mehr Steuern, als sie in Form von Kindergeld bekommen. Die Finanzämter prüfen das automatisch und rechnen es dann an.

Mehrwertsteuer: Dass die 19 bzw. 7 Prozent Mehrwertsteuer vor allem die Familien stark belastet, haben schon viele Experten vorgerechnet. Bei wem am Ende des Monats nichts oder wenig übrig bleibt, der hat von seinem Gehalt dann also nicht nur 20 Prozent Sozialbeiträge etwa sowie den persönlich – steigenden Steuersatz gezahlt -, sondern von seinem dann übrigbleibenden Netto also noch 7 % Steuern auf Lebensmittel und Versicherungsbeiträge und 19 Prozent auf so ziemlich alles andere – inklusive Spielzeug und Windeln. Miete und Porto dürften die einzigen steuerfrei bleibenden Haushaltsposten sein.

Sozialabgaben generell: Auch die derzeit knapp rund 20 Prozent Sozialabgaben fallen ab dem ersten Euro Lohn oder Gehalt an (außer bei Minijobs). Progression – dass stärkere Schultern in diesem ja eigentlich als Solidarsystem gedachten System mehr schultern müssen) gibt es hier nicht. Im Gegenteil: Befreit werden Gutverdiener – die dürfen sich verabschieden und freiwillig in den Pauschaltarif für freiwillig Versicherte oder sich privat absichern. Statt dass wie im Steuertarif dafür gesorgt wird, dass stärkere Schultern mehr tragen – und die Beiträge für alle sinken können. Ja: Es gibt die kostenlose Familienmitversicherung – das kommt Familien zugute. Und die gibt es sogar für (meist sind es ja die Frauen) Ehefrauen mit, wenn die praktisch nicht verdienen. Nur: Viele Familien brauchen ihre zwei Einkünfte. Und haben so auch oft nichts vom Ehegattensplitting. Der abgesehen davon auch nichts daran ändert, dass pro erwachsener Person und Monat 706 Euro vom Einkommen steuerfrei bleiben. Kinder zählen bei dem nicht. Alleinerziehende sind steuerlich Singles – sie haben nur einen Freibetrag und zahlen dadurch vergleichsweise mehr Steuern. Europaweit knöpft nur Belgien Singles mehr Geld ab, ergibt eine OECD-Studie nach der anderen schon seit Jahren. Der Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag liegt bei 109 Euro mehr Einkommen steuerfrei – für die, die Steuern zahlen.

Ungerechtigkeiten hat die UNO vor Jahren bereits bemängelt. Die Bundesregierung bezeichnete das als ungerecht und unwissenschaftlich. “Heul doch”, möchte man ihnen zurufen. Oder besser: “Setz mal die höchstrichterlichen Urteile in Sachen Familienfreundlichkeit um. Endlich.”

System

Kein Frühstück, keine ausreichende Winterkleidung, kein Internet, kein Kino, kein Geld für Geburtstagsgeschenke. Verzicht gehört für arme Kinder zum Alltag, hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben. Und nicht nur zum Kinderalltag, dank weniger guter Ausbildung und somit weniger Chancen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch zum Erwachsenenalltag, später mal.

Das ist schrecklich. Und noch schrecklicher: Es hat System. Einer von vielen, die das seit Jahren schon sagt, ist Jürgen Borchert vom Landessozialgericht Darmstadt: Deutschland ist kinderfeindlich. Nicht die Menschen – das System. Oder besser die Systeme: Sozialsystem, Steuerpolitik.

Kindergeld: Die 168 Euro monatliches Geschenk vom Staat werden Hartz-IV-Beziehern abgezogen. Für Steuerzahler dagegen gilt: Wer gut verdient, bekommt mehr: ab einem bestimmten Einkommen – das deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen liegt, etwa die Hälfte drüber, die Grenzsätze schwanken immer mal – sparen Steuerzahler durch den Kinderfreibetrag mehr Steuern, als sie in Form von Kindergeld bekommen. Die Finanzämter prüfen das automatisch und rechnen es dann an.

Mehrwertsteuer: Dass die 19 bzw. 7 Prozent Mehrwertsteuer vor allem die Familien stark belastet, haben schon viele Experten vorgerechnet. Bei wem am Ende des Monats nichts oder wenig übrig bleibt, der hat von seinem Gehalt dann also nicht nur 20 Prozent Sozialbeiträge etwa sowie den persönlich – steigenden Steuersatz gezahlt -, sondern von seinem dann übrigbleibenden Netto also noch 7 % Steuern auf Lebensmittel und Versicherungsbeiträge und 19 Prozent auf so ziemlich alles andere – inklusive Spielzeug und Windeln. Miete und Porto dürften die einzigen steuerfrei bleibenden Haushaltsposten sein.

Sozialabgaben generell: Auch die derzeit knapp rund 20 Prozent Sozialabgaben fallen ab dem ersten Euro Lohn oder Gehalt an (außer bei Minijobs). Progression – dass stärkere Schultern in diesem ja eigentlich als Solidarsystem gedachten System mehr schultern müssen) gibt es hier nicht. Im Gegenteil: Befreit werden Gutverdiener – die dürfen sich verabschieden und freiwillig in den Pauschaltarif für freiwillig Versicherte oder sich privat absichern. Statt dass wie im Steuertarif dafür gesorgt wird, dass stärkere Schultern mehr tragen – und die Beiträge für alle sinken können. Ja: Es gibt die kostenlose Familienmitversicherung – das kommt Familien zugute. Und die gibt es sogar für (meist sind es ja die Frauen) Ehefrauen mit, wenn die praktisch nicht verdienen. Nur: Viele Familien brauchen ihre zwei Einkünfte. Und haben so auch oft nichts vom Ehegattensplitting. Der abgesehen davon auch nichts daran ändert, dass pro erwachsener Person und Monat 706 Euro vom Einkommen steuerfrei bleiben. Kinder zählen bei dem nicht. Alleinerziehende sind steuerlich Singles – sie haben nur einen Freibetrag und zahlen dadurch vergleichsweise mehr Steuern. Europaweit knöpft nur Belgien Singles mehr Geld ab, ergibt eine OECD-Studie nach der anderen schon seit Jahren. Der Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag liegt bei 109 Euro mehr Einkommen steuerfrei – für die, die Steuern zahlen.

Ungerechtigkeiten hat die UNO vor Jahren bereits bemängelt. Die Bundesregierung bezeichnete das als ungerecht und unwissenschaftlich. “Heul doch”, möchte man ihnen zurufen. Oder besser: “Setz mal die höchstrichterlichen Urteile in Sachen Familienfreundlichkeit um. Endlich.”

Milliarden unversteuert in den Paradiesen

Die Zahlen müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen, die der französische Ökonom Daniel Zucman da über hinterzogene Gelder in Steueroasen errechnet hat.

Weltweit 4700 Milliarden der insgesamt 5800 Milliarden Euro, die in Steueroasen angelegt sind, seien nicht versteuert, stellt Zucman fest. Mehr als die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands in einem Jahr, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auch mehr als doppelt so viel wie die in Jahrzehnten angehäufte deutsche Staatsverschuldung. Etwa acht Prozent des privaten Finanzvermögens der Welt und sogar mehr als zehn Prozent des europäischen Finanzvermögens. Würden all die Milliarden ordentlich versteuert, hätten die Staaten jedes Jahr 130 Milliarden Euro mehr Einnahmen zur Verfügung, errechnete Zucman weiter.

Und das beste: könnten viele Länder auf einen Schlag ihre Haushalte ohne Defizite finanzieren.

Mag sein, dass an dem Vorwurf etwas dran ist, Zucman habe womöglich Gelder etwa von Pensionsfonds weil anonym fälschlich als unversteuert eingestuft. Und damit den Anteil unversteuerten Geldes zu hoch angesetzt. Dafür hat er Vermögen in Sachwerten außen vor gelassen. Und damit auf der anderen Seite sicher nicht nur schwarz, sondern auch illegal erworbenes Geld ebenfalls außen vor gelassen. Womöglich gleicht sich das wieder aus. Gerade Yachten könnte ich mir vorstellen, sind irgendwo auf der Welt schnell mal mit nicht nur unversteuertem, sondern womöglich auch illegal erworbenem Geld gekauft.

Und selbst wenn es nur die Hälfte der Summe wäre: Es würde sicher reichen, um Steuern auf Lohn und Einkommen etwas behutsamer steigen zu lassen. Und nicht doppelt so stark wie die Löhne und Gehälter selbst.

Zucman hat auch ein paar Vorschläge dafür, wie Staaten dafür sorgen könnten, dass das Geld von den diversen Steuerparadiesen wieder stärker in die eigenen Haushalte fließt, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung weiter.

Die nicht gestellte Verfassungsfrage

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern ein Urteil gefällt, das einige Gerechtigkeitsfragen aufwirft. Knapp soviel: Wer sich mit seinen Eltern überwirft oder von diesen missachtet und enterbt wird, muss trotzdem im Alter Unterhalt für sie zahlen. So das Urteil. Außer, die Eltern haben sich zu Kinderzeiten – also vor Eintritt der Volljährigkeit schwerer Verfehlungen schuldig gemacht. Hier ein Artikel von mir dazu gestern bei Welt Online, warum das Urteil mit Blick auf die Gesetzeslage zu erwarten war. Und hier noch der Bericht über Urteil und Fallkonstellation. Das BGH-Urteil zur Übernahme der Pflegekosten von Eltern ist logisch mit Blick auf das Gesetz, das die Richter ja immer anwenden müssen. Aber wäre es nicht eigentlich ein Fall für das Verfassungsgericht?

Der Reihe: Auch wer individuell von seiner Familie getrennte Wege geht, bleibt mit seinen Angehörigen verbunden. Denn laut Gesetz hat die Familie also soziale Auffanginstitution immer Vorrang vor dem Sozialsystem, legt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) fest. Das mag vielleicht nicht zu einer Gesellschaft passen, die sich als zunehmend individualisiert zumindest empfindet – aber das macht es noch nicht falsch.

Gesetze und auch Gerichte hinken der gesellschaftlichen Entwicklung immer hinterher. So hat es der BGH mal als grobe Verfehlung eingestuft, dass eine Mutter ihr Kind im Alter von einem Jahr den Großeltern überantwortet hat – in einer Zeit, in der das beinah schon als sozialer Alltag gelten kann. Dagegen sah es der oberste Gerichtshof im gestern beurteilten Fall nicht als grobe Verfehlung des Vaters an, dass er nicht nur von seinem guten Recht Gebrauch gemacht hat, seinem Kind das Erbe bis auf den Pflichtteil zu entziehen, sondern dass er offensichtlich dazu noch vorhandene Vermögenswerte nicht für die eigenen Pflegekosten und den eigenen Lebensunterhalt verwendet hat – was er laut Sozialgesetzgebung gemusst hätte –, sondern dem Zugriff des Sozialamts entzogen und einer Freundin vermacht hat.

Sprich: Das Gericht – und zuvor das Amt – nimmt also nicht die vom Vater begünstigte Erbin in die Pflicht, sondern den Sohn, wegen der familiären Unterhaltspflicht. Genau mit Blick darauf kritisiert denn auch Josef Linsler, Vorsitzender des Interessenverbands Unterhalt und Familienrecht (ISUV) das Urteil. Er hält es für grob unsolidarisch. „Der Vater enterbt den Sohn, die Bekannte erbt und der Sohn „erbt“ die Unterhaltsschulden“, resümmiert der ISUV-Vorsitzende Josef Linsler. „Der BGH hat eine Chance verpasst, ein gesellschaftlich wichtiges Signal zu setzen“, findet Linsler. Er spricht sich dafür aus, den Erben in die Pflicht zu nehmen, mit dem sich der Erblasser solidarisiert hat.

Das allein erklärt aber noch nicht die menschliche Aufregung.

Die Richter haben gestern einen Mann verurteilt – selber bereits Pensionär –, der offenbar nicht nur 40 Jahre keinen Kontakt zum Vater gehabt hatte, sondern dazu noch auf offensichtlich verletzende Weise von diesem behandelt worden ist. Im Erwachsenenalter zwar erst – deshalb war das Urteil auch folgerichtig und nicht anders zu erwarten. Die Anwältin des Sohns Brunhilde Ackermann hat das Urteil als menschliche Tragödie bezeichnet. Und selbst die BGH-Richter haben sich ganz offensichtlich schwer mit dem Urteil getan. Darüber haben sie Berichten zufolge in der öffentlichen Verhandlung sogar gesprochen.

Ich frage mich: Hätten die Richter nicht gute Gründe gehabt, den Fall an das Bundesverfassungsgericht weiterzureichen?

Sowas kommt ja vor. Ich bin keine Juristin, aber interessiere mich. Und weiß: Das BGB ist gesetzliche Grundlage für vieles, auch Fragen des Unterhalts. Aber unter dem BGB drunter gleichermaßen liegt die Verfassung. Das Grundgesetz. Und in dem Fall müssten doch eigentlich zwei verfassungsrechtliche Werte berührt sein. Oder sehe ich das falsch? Daher auch die Aufregung: Der eine Wert ist unter den Tisch gefallen.

Einerseits ist da der Schutz und die besondere Stellung der Familie, die natürlich umgekehrt auch sozial verpflichtet und dem das BGB mit dem unbedingten Vorrang vor Sozialleistungen Rechnung trägt – was grundsätzlich richtig und gut ist. Nebenbei bemerkt zählt am Ende ja dann auch die Zahlungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen und gibt es weitreichende Schonregelungen, die dafür sorgen, dass Betroffene nicht ihren Lebensstandard einbüßen müssen – dazu am Montag mehr in der Welt und bei Welt Online.

Auf der anderen Seite steht da noch die Würde des Menschen im Raum, geregelt durch Artikel 1 GG. Die zu schützen Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist. Und zu der gehören Richter und Ämter dazu. – Wie weit ist es mit der her in diesem Fall? Nicht sehr weit, würde ich sagen und selbst die Richter hatten ja ihre Zweifel.

Nun ist natürlich die Frage, warum die Allgemeinheit zahlen soll, wenn doch zahlungsfähige Angehörige da sind. Aber die Allgemeinheit zahlt ja auch anstandslos für Kinderlose oder Eltern mit wenig zahlungskräftigem Nachwuchs. Warum also nicht auch für solche, deren persönliche Beziehungen zutiefst gestört sind – wenn sonst deren Würde verletzt wird. Im Grundgesetz steht die Würde des Menschen an erster Stelle.

In dem Punkt sendet das Urteil auch in Richtung Familien eine verfassungsrechtlich durchaus fragwürdige Botschaft. Diese lautet: Wenn Du Kinder bekommst oder hast, weißt Du schon jetzt: Mit Blick auf die unterfinanzierte Pflegeversicherung werden dereinst mal die eigenen Kinder – so sie gut genug verdienen – nicht nur für einen selbst mitzahlen und das wahrscheinlich zeitgleich für die Enkel mit – so geht es vielen Angehörigen der so genannten Sandwich-Generation zwischen 40 und 60 –, sondern dazu noch für kinderlose Pflegebedürftige. Bei denen sich naturgemäß kein Unterhaltspflichtiger findet. Was geht, wird für die Pflege abgezogen. Und zwar wenn nach Steuern und Sozialabgaben – für die auch kinderlose Allgemeinheit – noch etwas für die Eltern übrigbleibt, dann für sie selbst.

Und das, wo Experten schon die Besteuerung von Familien für verfassungswidrig halten, der Vorsitzende des Landesssozialgerichts Darmstadt, Jürgen Borchert, ist einer davon. Familien gelten Alleinstehenden gegenüber nicht grundlos als sozialrechtlich und steuerlich benachteiligt – Extrapunkte bei der Rentenversicherung hin oder her.

Hinzu kommt: Man kann der Kontrollwut beim Explodieren zusehen. Und damit geht es weg von juristischen hin zu ökonomischen Fragen.

Die seit vielen Monaten in der Debatte präsenten Steuer-CDs sind das eine. Der immer leichtere Zugriff auf Bank-, Renten- und Versicherungsdaten. Und nun noch der schon durch die erwartungsgemäß weiter wachsende schiere Zahl pflegebedürftiger Alter. Samt dem immer größeren Kontrollapparat, der nötig ist für die naturgemäß auch immer zahlreicheren Fälle, in denen Sozialämter für Pflegekosten einspringen müssen – und erst einmal die Verhältnisse sichten, Ansprüche klären und schließlich auch geltend machen und letztlich exekutieren müssen. Notfalls bis zum obersten Gericht und dem Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts, der dann vielleicht pfändet, wenn es etwas gibt.

Wer jetzt noch nicht mit dem bislang eher verrufenen, aber von vielen seriösen Experten für gut befundenen System des bedingungslosen Grundeinkommens sympathisiert, den könnte das zum Nachdenken bringen. Nicht wenige seriöse Ökonomen erörtern ja ernsthaft die Vorteile dieses Systems. Natürlich gibt es den berühmt-berüchtigten Gratis-Lunch nicht. Aber man könnte ja auch mal die Kosten für das allen zur Verfügung gestellte Einkommen dem dafür eingesparten immensen Kontrollaufwand gegenüberstellen, der für das jetzige Sozialsystem notwendig ist.

Das Argument jedenfalls, ein Grundeinkommen sei zu teuer, dürfte gegenüber den Realitäten verblassen. Und dass es nicht zu Leistung anreizt, glaube ich nicht. Dinge werden sich sicher verändern – vielleicht ja auch zum Guten, wenn nämlich die Menschen dank finanziell größerer Freiheit machen können, woran ihr Herz hängt. Wahrscheinlich gäbe es dann noch mehr der jetzt und in Zukunft noch mehr benötigten Ehrenamtler. Wäre ja auch was.

Wie die Lösung dann konkret aussähe, das sollten die Experten aber auf jeden Fall europaweit ausklügeln. Das muss schon sein, sonst gibt es wieder neue Probleme, das zeigen ja auch aktuelle Diskussionen wie die um – Unwort des Jahres: Sozialtourismus beispielsweise.

Paradox

Die Erkenntnis ist alt und trivial: Anreize bringen Menschen dazu, Dinge zu tun oder zu lassen, zum Beispiel zu sparen oder zu konsumieren. Insofern ist nicht überraschend, dass die Leute hierzulande offenbar immer weniger sparen. Die Sparquote sinkt, während sie in den traditionell konsumfreudigen USA steigt, berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Dabei hatte gerade die im Schnitt solide Zurückhaltung Deutschland in der Euro-Krise seine Sonderstellung verschafft – die nun die Sparquote senkt. Vielleicht hilft hier eine weitere Erkenntnis: Die Menschen sind nicht nur weniger rational als gedacht. Sie sind auch kurzsichtig. Und manche Dinge ändern sich nicht, etwa laut Zeitung das Motiv: Angst.

Profiler

Womit sich Gerichte so beschäftigen müssen – darüber will ich manchmal lieber gar nicht nachdenken.

Aber gut, dafür sind sie da. Und das ist gut so. Die Gerichte stehen allen offen, und die Richter sind unabhängig. Gut so, beides. Urteile allerdings beziehen sich aufeinander, oft jedenfalls. Ich frage mich daher, was dieses Urteil hier für den Unfallversicherungsschutz bedeutet – immerhin vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 2 U 71/11) und das Urteil ist höchstrichterlich, keine Revision zugelassen. In der Konsequenz. Für Normalsterbliche, nicht für Juristen.

Mal abgesehen davon, dass der Fall erschreckend ist: Da hat ein Mann mit einem Lkw den Blumenstand seiner Ex-Frau gerammt. Und der schwer verletzten Frau wurde der Unfallversicherungsschutz verwehrt, weil die Tat “privat veranlasst” war. Sie geht leer aus, obwohl sie alles richtig gemacht hat.

Ich dachte eigentlich immer, beim Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung komme es darauf an, dass der Versicherte die Anforderungen erfüllt – dass er also bei der Arbeit oder auch etwa in der Schule zu Schaden kommt oder auf direktem Weg hin oder wieder weg davon. Und natürlich versichert ist.

So habe ich die bisherigen Urteile verstanden.

Spielen wir doch mal durch, was das Urteil sozialversicherungsrechtlich bedeuten könnte. Was wäre denn, wenn der Fahrer ein direkter Konkurrent gewesen wäre, der die Frau und ihren Blumenstand da mit seinem Laster gerammt hat? Gleicher Fall, anderes Motiv. Eindeutig beruflich motiviert – damit müsste es versichert sein. Andererseits wäre es natürlich bekloppt und völlig überzogen – und damit wieder privat motiviert. Und damit nicht versichert? Oder würde es hier darum gehen, ob der Täter zurechnungsfähig war? Wenn ja, gleich privat veranlasst und damit nicht versichert, wenn nein, dann krankheitsbedingt und versichert? Oder geht es um den kriminellen Vorsatz? Wenn ja: Ist es dann im Sinne der Allgemeinheit, dass Leute, die bei der Arbeit oder in der Schule Opfer werden, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung verlieren? Ich denke jetzt auch mal an Amokläufe. Zum Beispiel.

Weiter, gleiche Ausgangslage: Was, wenn der Fahrer sich einfach nur gerade im Cockpit mit einer Wespe geschlagen hätte und deshalb versehentlich mit seinem Laster vom Weg abgekommen und in den Blumenstand gerauscht wäre? Dann wäre das ja ein astreiner Unfall – und somit versichert? Wie wäre es denn, wenn er sich stattdessen nach einer CD gebückt hätte und deshalb versehentlich von der Straße abgekommen wäre? Oder – solche Fälle gibt es ja – es hat jemand sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen: privat veranlasst? Und damit kein Geld für den Geschädigten?

Fragen über Fragen.

Ganz neue Jobmöglichkeiten in der gesetzlichen Sozialversicherung brächte das mit sich: Motivforschung. Vielleicht haben sie ja dann irgendwann auch ein paar Profiler am Werk… Und wer weiß? Vielleicht ja irgendwann auch den ein oder anderen Gedankenleser.

Lieber gut abgesichert sein.