Soziales bestraft das Finanzamt

Interessante Aufschlüsse darüber, wie sozial der Staat ist – der ja auch ein Sozialstaat ist -, liefert ein Beitrag des Deutschlandfunk über die Probleme mit dem Finanzamt, die die offenbar durchaus zahlreichen sozialen Münchner Vermierter bekommen. Gerade der Mietmarkt offenbart einige größere Zielkonflikte mit Blick auf Bürgerinteressen.

Natürlich müssen Preise marktgerecht sein, um zu Steuerabzügen zu führen. Doch es ist aus gesellschaftlicher Sicht durchaus problematisch, wenn die Anerkennung von steuerlich unabdingbarem Gewinnstreben so stark abhängt von Anpassungen an einen überhitzten Wohnungsmarkt. Und nicht von eigenem wirtschaftlichem Kalkül.

Der größte Steuerraub

Steuerbürger bekommen ihre außergewöhnlichen Belastungen oder auch Sonderausgaben nicht von der Steuerschuld abgezogen, wenn sie nicht die Rechnung als Nachweis vorlegen können – und dazu den Nachweis, die Kosten selbst getragen zu haben. Jede Handwerkerrechnung ist nur absetzbar mit Rechnung und Zahlungsnachweis.

Da macht das bis zu zehnfache Erstattenlassen von nie gezahlten Steuern in großem Stil doch ein wenig sprachlos. Zig Milliarden Euro sind dem Staat durch krumme Geschäfte namens Cum-Ex durch die Lappen gegangen. Ebenso sprachlos macht die Reaktion der politisch Verantwortlichen. Die offensichtlichen, gigantischen Gesetzeslücken brauche man nicht zu stopfen. Klar, es sind Kriminelle. Aber die Regeln luden sie regelrecht anscheinend legalen krummen Dingern ein. Zur Erinnerung: Wir sprechen vom laut Die Zeit größten Steuerraub in der jüngsten Geschichte, wie die Zeit schrieb. Nichts deutet darauf hin, dass der Fiskus von dem mafiaähnlichen Steuerbetrugssystem überhaupt wissen wollte.

Gartenpflege ja, Kinderbetreuung allzuoft nein

Derweil ärgere ich mich mit Blick auf den größten Steuerraub meiner persönlichen Geschichte darüber, dass nicht nur Kriminelle es derart einfach haben, sondern auch der splittingbegünstigte Alleinverdiener in der Villa oder auch dem Eigenheim ein paar Ecken entfernt von hier an Rhein oder Taunusrand die Kosten für seinen rein privat benötigten Gärtner als Sonderausgaben geltend machen kann, während ich die für die Ausübung meines Berufs nötigen Kinderbetreuungskosten nur zu einem überraschend geringen Teil abziehen kann.

Kinderbetreuungskosten sind seit ein paar Jahren nicht mehr als Werbungskosten oder Betriebsausgaben absetzbar, sondern nur noch – sofern man entsprechend Steuern zahlen würde als Sondersausgaben bis zu zwei Drittel der Kosten von maximal 4000 Euro jährlich.

Von Kindern und Hunden

Mir ist schleierhaft, warum die Anerkennung als Sonderausgaben damals durchaus lobend gefeiert wurde. Gerade die Eltern, die wahrscheinlich besonders dringend auf den Abzug der Kinderbetreuung angewiesen sind, weil sie arbeiten müssen, um mit zwei vielleicht vergleichsweise niedrigen Einkommen über die Runden zu kommen, werden nach Abzug aller anderen beruflichen Kosten und der Sozialabgaben in Höhe von immerhin ja auch knapp 20 Prozent – in vielen Fällen gar nicht erst genug verdienen, um überhaupt in den Genuss des eigentlich nur als Sonderausgabe möglichen Abzugs zu kommen – Sonderausgabe bedeutet: bei ausreichend hohen Einkünften zusätzlich und, weil privat, auch nur beschränkt. Sie werden in vielen Fällen gar nichts mehr von der Abzugsmöglichkeit haben, seit die Kosten nicht mehr als Werbungskosten oder Betriebsausgaben ansetzbar sind. Es profitiert nur, wer genug verdient.

Natürlich betrifft das überhaupt nur diejenigen, die nicht das Glück haben, beispielsweise im – binnenwirtschaftlich betrachtet – Nehmerland Rheinland-Pfalz zu wohnen, das die Kitabetreuung kostenlos anbietet, sondern stattdessen wie auch ich beispielsweise im Geberland Hessen wohnen. Für sie ist die Kinderbetreuung zu einem beträchtlichen Teil Privatvergnügen. Und natürlich fallen damit darauf zusätzlich mehr Steuern an als zuvor. Auch klar – der Restbetrag ist ja ganz regulär steuerpflichtig. Steuergerechtigkeit stelle ich mir anders vor. Immerhin soll die Summe bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge mindernd angerechnet werden – so wurde damals versprochen. Wenn der Sachbearbeiter oder spätere Betriebsprüfer es nicht vergisst. Aber: Das passiert. Muss jedenfalls kontrolliert werden.

Nichts gegen Fellnasen, aber: Warum ich die Kita- und Schulverpflegung nicht als außerhäusliche haushaltsnahe Dienstleistung geltend machen kann, während jeder Hunde- oder Katzenbesitzer die Verpflegung und Unterbringung seines Lieblings während des Urlaubs oder verlängerten Wochenendes als solche ansetzen kann, konnte mir noch niemand erklären. Der Bundesfinanzhof untersagte kürzlich einem alleinerziehenden Vater den Abzug. Allerdings wohl weil die Rechnung nicht ordnungsgemäß war, nicht weil die Kosten bereits vom Kindergeld abgedeckt würden – dieser Satz galt für mein Verständnis den Kosten für das Schulferienlager. Nicht der von ihm geltend gemachten haushaltsnahen Dienstleistung. Aber hilft ja nichts, mit dem Finanzamt über Formulierungen zu diskutieren.

Wie sollen Kinderfreibeträge die Kosten decken?

Abgesehen davon frage ich mich sowieso, wie und warum die ausdrücklich nur den minimalsten Sozialhilfesätzen ohne die für Hartz-IV-Empfänger ja beantragbaren Zusatzbedarfe angepassten Grundfreibeträge und Kinderfreibeträge dies überhaupt abdecken sollten? Mehr steht steuerfrei ja keinem Steuerpflichtigen zu und diese Kindern steuerlich zugestandenen Bedarfe sind laut Finanzgericht Niedersachsen ja noch selbst gemessen daran schon zu niedrig bemessen.

Wahrscheinlich tritt auch hier einfach wieder die Faustregel meiner früheren Steuerberaterin in Kraft: „Richter können richten, aber nicht rechnen.“ Die hoffentlich bald überholt ist. Erste Anzeichen hierfür sind ja erfreulicherweise durchaus zu erkennen.

Fazit: Ordnungsgemäße Rechnung besorgen, Kontoauszüge beilegen, Einspruch einlegen. Abwarten. Tee trinken. – Und mich dann doch ärgern und wundern über Cum-ex-Geschäfte, die ich wie viele andere von uns teuer mit dem von uns ehrlich und mühsam verdienten – und dringend benötigten – Geld mitfinanzieren.

Suche Alleinverdienerbegünstigung

Noch gar nicht drüber nachgedacht habe ich bis dahin darüber, weshalb in Deutschland im Jahr 2017 gezahlte Kirchensteuer die zu zahlende Einkommensteuer stärker mindert als Kinderbetreuungskosten dies tun.

Weiß das jemand? Versteht das jemand? Welches Gesetzesgrundlage ist hierfür verantwortlich? Artikel 6 GG – Schutz der Ehe und Familie – kann es ja nicht sein.

Fazit 2: Steuerdeutschland ist ein Paradies für Finanzverbrecher sowie dackelhaltende, kirchensteuerpflichtige Alleinverdiener-Ehepaare. Am besten noch mit weitläufigem Garten für ausreichend Platz weiteren Steuerabzugsmöglichkeiten.

Wichtiger Hinweis für Alleinerziehende

Alleinerziehende weise ich an dieser Stelle freundlich auf ein höchstrichterliches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hin, das die verwitwete Steuerberaterin Reina Becker führt. Sie klagt auf Veranlagung nach dem Splittingtarif. Damit hoffentlich bald nach denselben Regeln wie die rasensprengenden und büschestutzenden Rentner und anderen Eheleute der Republik auch das Alleinverdienereinkommen derjenigen besteuert wird, die davon noch Kinder sattbekommen wollen. Einspruch einlegen, auf das Verfahren mit Aktenzeichen. 2 BvR 221/17 verweisen. Wer auf Nummer Sicher gehen will, kann zusätzlich noch Ruhen des Verfahrens beantragen. Muss dies aber im Normalfall nicht.

Es sollten möglichst viele Einsprüche einlegen. Damit es hiermit hoffentlich bald einmal vorbei ist, was das Grund- und Menschenrechtsblog der Humboldt-Universität zu Berlin bemängelt: dass Frauen und vor allem ihre Kinder Bürger zweiter Klasse sind. Und das hier und wo Armut die Demokratie gefährdet, wie gewisse Erfolge rechter Parteien zeigen, die viel mit dem dann aber nicht weiter Gefühl, ausgenommen zu werden, zu tun haben.

Fazit 3: Arbeit reicht in viel zu vielen Fällen nicht – die Zahlen der Aufstocker sprechen für sich –, um Armut zu entgehen.

Warum Richter rechnen und denken sollten

Richter können richten, nicht rechnen. An diesen alten und immer wieder wahren Satz musste ich bei diesem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden denken.

Die Richter sprachen drei Elternpaaren den Anspruch auf Schadensersatz ab, denen das Land – trotz bestehenden Rechtsanspruchs – keinen Kita-Betreuungsplatz anbieten konnte.

Der Anspruch sei ein Anspruch der Kinder auf frühkindliche Förderung, argumentierten die Richter, nicht ein Anspruch der Eltern beispielsweise auf die (so genannte) Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die sei nur Folge der Betreuung – also praktisch nicht deren Sinn, wenn ich jetzt mal dieses Argument und was die Richter damit vielleicht sagen wollen zu Ende denke.

Aber: Die Kinder sind ja vom Verdienstausfall betroffen.

Ich kenne jetzt die Verhältnisse der klagenden Eltern nicht im Detail, daher kann ich nicht beurteilen, in welchem Umfang genau. Aber im Extremfall sind die Kinder sehr wohl materiell, sozial und gesundheitlich betroffen, wenn die Eltern Einkommensverluste hinnehmen müssen. Darüber gibt es Studien. Und – mal ehrlich: dafür reicht schon Milchmädchen-Rechenkunst. Und das ist auch mehr als nur der Folgeschaden, den Heribert Prantl feststellt – der Schaden der Eltern betrifft den Haushalt, in dem die Kinder leben.

Auch vermisse ich einen Anhaltspunkt darüber, was denn nun dann die Konsequenz aus der Verletzung des Rechts der Kinder sein soll, die die Richter ja zugestehen. Keine? Welchen Wert hat dann ein Gesetz und darin verbriefte Ansprüche? Keinen?

Richter (und nebenbei bemerkt natürlich auch Rechtsanwälte und Staatsanwälte und alle sonstigen Juristen auch) brauchen aber nicht nicht nur offenbar nicht rechnen zu können, um Recht und Unrecht zu verhandeln und zu entscheiden. Sie kommen anscheinend sogar ohne Denken zumindest durch das Studium. Allem Anschein nach jedenfalls sind da kritische oder auch nur Verständnis-Nachfragen unerwünscht. Damit jedenfalls begründet der Verfasser dieses Textes seinen Studienabbruch.

Schon klar, dass Juristen die Gesetze kennen sollten. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Und bei der umfassenden und komplexen bis komplizierten Materie ist das Studium damit auch schon gut gefüllt. Natürlich.

Aber wer, wenn nicht Juristen, sollte deren Sinn und damit auch mögliche Verbindungen und Wechselwirkungen von Gesetzen und Rechtsgrundlagen verstehen lernen? Vielleicht mal die Frage überdacht haben, welchen Wert ein Gesetz hat, dessen Sinn die Betroffenen nicht einklagen können?

Ich würde da gern denken: “Juristen vielleicht…?”

System (2)

Sehr lesenswerter Artikel einer bloggenden Juristin über das Kinderkriegen und -haben in Deutschland.

Von großartigem unterhaltendem und auch inhaltlichem Wert.

„Das ist etwas blöd jetzt, wenn man 25 Jahre alt ist, Altenpflegerin (Erzieherin, Arzthelferin, Sozialpädagogin, Rechtsanwaltsfachangestellte, Bankkauffrau, Kosmetikerin, Busfahrerin…) von Beruf, 2600 € brutto in Vollzeit verdient und die Miete in Hannover 650 € kalt im Monat kostet. In Teilzeit reicht das dann für dreimal Volltanken und ein Salamibrot für den Vater, aber nicht für ein KiTa-Kind und eine Dreizimmerwohnung.”

Sie hat ja so recht.

Auch die Leute, die sie da am Ende zitiert, Verfassungskenner erster Güte:

“Den Generationenvertrag des Sozialstaates halten nur die Eltern ein. Dass gerade sie an diesem Vertrag kaum beteiligt werden, ist ein rechtsstaatlicher Skandal”
Prof. Dr. Paul Kirchhof (ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht)

“Es kann nicht sein, dass ein Ehepaar – bei dem nur der eine ein Leben lang ein Gehalt oder einen Lohn einsteckt – Kinder aufzieht am Ende nur eine Rente bekommt. Auf der anderen Seite verdienen zwei (kinderlose) Ehepartner zwei Renten. Und die Kinder des Paares, das nur eine Rente bekommt, verdienen diese beiden Renten mit. Das ist ein glatter Verfassungsverstoß.”
Prof. Dr. Roman Herzog (ehemaliger Bundespräsident und ebenfalls ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht, sogar zeitweise dessen Präsident)

System

Kein Frühstück, keine ausreichende Winterkleidung, kein Internet, kein Kino, kein Geld für Geburtstagsgeschenke. Verzicht gehört für arme Kinder zum Alltag, hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben. Und nicht nur zum Kinderalltag, dank weniger guter Ausbildung und somit weniger Chancen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch zum Erwachsenenalltag, später mal.

Das ist schrecklich. Und noch schrecklicher: Es hat System. Einer von vielen, die das seit Jahren schon sagt, ist Jürgen Borchert vom Landessozialgericht Darmstadt: Deutschland ist kinderfeindlich. Nicht die Menschen – das System. Oder besser die Systeme: Sozialsystem, Steuerpolitik.

Kindergeld: Die 168 Euro monatliches Geschenk vom Staat werden Hartz-IV-Beziehern abgezogen. Für Steuerzahler dagegen gilt: Wer gut verdient, bekommt mehr: ab einem bestimmten Einkommen – das deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen liegt, etwa die Hälfte drüber, die Grenzsätze schwanken immer mal – sparen Steuerzahler durch den Kinderfreibetrag mehr Steuern, als sie in Form von Kindergeld bekommen. Die Finanzämter prüfen das automatisch und rechnen es dann an.

Mehrwertsteuer: Dass die 19 bzw. 7 Prozent Mehrwertsteuer vor allem die Familien stark belastet, haben schon viele Experten vorgerechnet. Bei wem am Ende des Monats nichts oder wenig übrig bleibt, der hat von seinem Gehalt dann also nicht nur 20 Prozent Sozialbeiträge etwa sowie den persönlich – steigenden Steuersatz gezahlt -, sondern von seinem dann übrigbleibenden Netto also noch 7 % Steuern auf Lebensmittel und Versicherungsbeiträge und 19 Prozent auf so ziemlich alles andere – inklusive Spielzeug und Windeln. Miete und Porto dürften die einzigen steuerfrei bleibenden Haushaltsposten sein.

Sozialabgaben generell: Auch die derzeit knapp rund 20 Prozent Sozialabgaben fallen ab dem ersten Euro Lohn oder Gehalt an (außer bei Minijobs). Progression – dass stärkere Schultern in diesem ja eigentlich als Solidarsystem gedachten System mehr schultern müssen) gibt es hier nicht. Im Gegenteil: Befreit werden Gutverdiener – die dürfen sich verabschieden und freiwillig in den Pauschaltarif für freiwillig Versicherte oder sich privat absichern. Statt dass wie im Steuertarif dafür gesorgt wird, dass stärkere Schultern mehr tragen – und die Beiträge für alle sinken können. Ja: Es gibt die kostenlose Familienmitversicherung – das kommt Familien zugute. Und die gibt es sogar für (meist sind es ja die Frauen) Ehefrauen mit, wenn die praktisch nicht verdienen. Nur: Viele Familien brauchen ihre zwei Einkünfte. Und haben so auch oft nichts vom Ehegattensplitting. Der abgesehen davon auch nichts daran ändert, dass pro erwachsener Person und Monat 706 Euro vom Einkommen steuerfrei bleiben. Kinder zählen bei dem nicht. Alleinerziehende sind steuerlich Singles – sie haben nur einen Freibetrag und zahlen dadurch vergleichsweise mehr Steuern. Europaweit knöpft nur Belgien Singles mehr Geld ab, ergibt eine OECD-Studie nach der anderen schon seit Jahren. Der Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag liegt bei 109 Euro mehr Einkommen steuerfrei – für die, die Steuern zahlen.

Ungerechtigkeiten hat die UNO vor Jahren bereits bemängelt. Die Bundesregierung bezeichnete das als ungerecht und unwissenschaftlich. “Heul doch”, möchte man ihnen zurufen. Oder besser: “Setz mal die höchstrichterlichen Urteile in Sachen Familienfreundlichkeit um. Endlich.”