Kein Frühstück, keine ausreichende Winterkleidung, kein Internet, kein Kino, kein Geld für Geburtstagsgeschenke. Verzicht gehört für arme Kinder zum Alltag, hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung ergeben. Und nicht nur zum Kinderalltag, dank weniger guter Ausbildung und somit weniger Chancen mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit auch zum Erwachsenenalltag, später mal.
Das ist schrecklich. Und noch schrecklicher: Es hat System. Einer von vielen, die das seit Jahren schon sagt, ist Jürgen Borchert vom Landessozialgericht Darmstadt: Deutschland ist kinderfeindlich. Nicht die Menschen – das System. Oder besser die Systeme: Sozialsystem, Steuerpolitik.
Kindergeld: Die 168 Euro monatliches Geschenk vom Staat werden Hartz-IV-Beziehern abgezogen. Für Steuerzahler dagegen gilt: Wer gut verdient, bekommt mehr: ab einem bestimmten Einkommen – das deutlich höher als das deutsche Durchschnittseinkommen liegt, etwa die Hälfte drüber, die Grenzsätze schwanken immer mal – sparen Steuerzahler durch den Kinderfreibetrag mehr Steuern, als sie in Form von Kindergeld bekommen. Die Finanzämter prüfen das automatisch und rechnen es dann an.
Mehrwertsteuer: Dass die 19 bzw. 7 Prozent Mehrwertsteuer vor allem die Familien stark belastet, haben schon viele Experten vorgerechnet. Bei wem am Ende des Monats nichts oder wenig übrig bleibt, der hat von seinem Gehalt dann also nicht nur 20 Prozent Sozialbeiträge etwa sowie den persönlich – steigenden Steuersatz gezahlt -, sondern von seinem dann übrigbleibenden Netto also noch 7 % Steuern auf Lebensmittel und Versicherungsbeiträge und 19 Prozent auf so ziemlich alles andere – inklusive Spielzeug und Windeln. Miete und Porto dürften die einzigen steuerfrei bleibenden Haushaltsposten sein.
Sozialabgaben generell: Auch die derzeit knapp rund 20 Prozent Sozialabgaben fallen ab dem ersten Euro Lohn oder Gehalt an (außer bei Minijobs). Progression – dass stärkere Schultern in diesem ja eigentlich als Solidarsystem gedachten System mehr schultern müssen) gibt es hier nicht. Im Gegenteil: Befreit werden Gutverdiener – die dürfen sich verabschieden und freiwillig in den Pauschaltarif für freiwillig Versicherte oder sich privat absichern. Statt dass wie im Steuertarif dafür gesorgt wird, dass stärkere Schultern mehr tragen – und die Beiträge für alle sinken können. Ja: Es gibt die kostenlose Familienmitversicherung – das kommt Familien zugute. Und die gibt es sogar für (meist sind es ja die Frauen) Ehefrauen mit, wenn die praktisch nicht verdienen. Nur: Viele Familien brauchen ihre zwei Einkünfte. Und haben so auch oft nichts vom Ehegattensplitting. Der abgesehen davon auch nichts daran ändert, dass pro erwachsener Person und Monat 706 Euro vom Einkommen steuerfrei bleiben. Kinder zählen bei dem nicht. Alleinerziehende sind steuerlich Singles – sie haben nur einen Freibetrag und zahlen dadurch vergleichsweise mehr Steuern. Europaweit knöpft nur Belgien Singles mehr Geld ab, ergibt eine OECD-Studie nach der anderen schon seit Jahren. Der Alleinerziehenden-Entlastungsbetrag liegt bei 109 Euro mehr Einkommen steuerfrei – für die, die Steuern zahlen.
Ungerechtigkeiten hat die UNO vor Jahren bereits bemängelt. Die Bundesregierung bezeichnete das als ungerecht und unwissenschaftlich. “Heul doch”, möchte man ihnen zurufen. Oder besser: “Setz mal die höchstrichterlichen Urteile in Sachen Familienfreundlichkeit um. Endlich.”