Geldgespräche

Juramama wieder. „Ich mache die persönliche Assistenz von zwei hilfsbedürftigen, leicht durchgedrehten Personen mit täglichen Nachtschichten und auch am Wochenende“, schreibt Nina Straßner in der Berliner Zeitung.

Was sie da mal wieder gewohnt lustig einleitet, hat den bei ihren Themen ebenso gewohnt ernsten Hintergrund: Geld in dem Fall. Wie viel eine Mutter eigentlich verdienen müsste für ihre Tätigkeit, darum geht’s.

Ich würde meine Kinder um keinen Preis hergeben. Und doch sind solche Gedankenspiele wichtig – und haben durchaus auch praktische Relevanz: nämlich spätestens dann, wenn die – in den meisten Fällen – Hausfrau ausfällt.

Besser wäre: schon beim Thema Absicherung.

Ich habe vor Jahren – vor meinen Kindern – mal einen Beitrag zum Thema Berufsunfähigkeitsversicherung für Hausfrauen für hr1 des Hessischen Rundfunks gemacht und Jahre später dann auch noch einmal für die Welt am Sonntag (WamS). Die Versicherer legen genau solche sich erst einmal irgendwie ausgedacht anhörenden Werte zugrunde, um die abzusichernde Berufsunfähigkeitsrente zu ermitteln.

Der Ausfall einer Mutter ist teuer – und versicherbar

Solche Policen werden – genau wie Berufsunfähigkeitsversicherungen für Verdienende – auch empfohlen. Ist auch logisch. Der/die sichert sich ab, weil er auf sein Einkommen angewiesen ist. Der/die andere andere, weil sie darauf angewiesen ist, diese Tätigkeiten nicht auch noch jemandem bezahlen zu müssen. Muss die Familie aber im Zweifel, wenn die Mutter berufsunfähig ist oder stirbt. Das ist dann auch das wichtigste Argument für die Risiko-Lebensversicherung auch für die Nichtverdienerin. Kein schönes Thema, aber im Fall der Fälle dann vielleicht finanziell existenzrettend. Und daher wichtiger Gegenstand von Geldgesprächen für Mütter.

Mein Tipp: Das wäre dann auch ein konkreter und sinnvoller Inhalt möglicher Geldgespräche, die die Juramama im Artikel abschließend ja auch empfiehlt.
Nur bedingt ein Weg zum Steuersparen leider

Die Beiträge für Berufsunfähigkeitspolicen können Versicherte übrigens nur als Sonderausgaben im Rahmen der sonstigen Vorsorgeaufwendungen geltend machen: also bis 2800 bei Selbständigen und bis 1900 Euro bei Arbeitnehmern oder Beamten. Erst die schlechte Nachricht: Viele schöpfen diesen Betrag schon für die gesetzliche Krankenversicherung aus. Die gute Nachricht: Hausfrauen stoßen hier vielleicht in eine steuerliche Optimierungslücke – zumindest als Familienversicherte bringen sie die Kosten ja nicht auf und können so vielleicht doch die Steuerlast senken.

Als Altersvorsorgeaufwendungen ist die BU-Police steuerlich ansetzbar, wenn sie quasi riesterfähig gemacht wurde, also mit einer reinen Altersvorsorgekomponente angereichert. Der Versicherer teilt das auf Anfrage mit. Es ist die Ausnahme und verteuert die Police auch enorm. Sind die Versicherungsbedingungen aber entsprechend gestaltet, können Versicherte die Ausgaben als Altersvorsorgeaufwendung geltend machen. Diess dann zu immerhin derzeit 88 Prozent (2018: 86 Prozent) der Aufwendungen.

Soziales bestraft das Finanzamt

Interessante Aufschlüsse darüber, wie sozial der Staat ist – der ja auch ein Sozialstaat ist -, liefert ein Beitrag des Deutschlandfunk über die Probleme mit dem Finanzamt, die die offenbar durchaus zahlreichen sozialen Münchner Vermierter bekommen. Gerade der Mietmarkt offenbart einige größere Zielkonflikte mit Blick auf Bürgerinteressen.

Natürlich müssen Preise marktgerecht sein, um zu Steuerabzügen zu führen. Doch es ist aus gesellschaftlicher Sicht durchaus problematisch, wenn die Anerkennung von steuerlich unabdingbarem Gewinnstreben so stark abhängt von Anpassungen an einen überhitzten Wohnungsmarkt. Und nicht von eigenem wirtschaftlichem Kalkül.

Ein paar Ideen für das Unterhaltsproblem

Interessant: Die Bundesregierung will “nicht darüber spekulieren”, was die Gründe dafür sind, dass so viele unterhaltspflichtige Elternteile ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Ich will jetzt über die laut Artikel von Amtspersonen so genannten “Disco-Kindern” und deren Zahl nicht spekulieren. Aber hätte dafür ein paar Ideen, wie sich die dürftige Quote von 23 Prozent beigetriebene Unterhaltsforderungen durch die Jugendämter verbessern ließe. Ein entscheidender Faktor wird sein: Der Kindesunterhalt muss aus dem Netto bezahlt werden. Nach Abzug der Single-Steuer- und Abgabenlast. Und da gäbe es gleich zwei Möglichkeiten, etwas zu verbessern.

Gründe

Zum Glück schreibt die FAZ es ein Stückchen weiter unten dann auch recht detailliert auf – worüber es nämlich nichts zu spekulieren gibt: Das Netto der Unterhaltszahler ist zu gering. Das wiederum hängt neben zu geringen Einkünften nicht zuletzt auch mit hohen Steuern und Abgaben zusammen – für Alleinerziehende ebenso wie für Unterhaltspflichtige. Beide drücken das der Familie zur Verfügung stehende Netto.

Das ist (denn auch gering). Die traurige Realität: Nur 52,7 Prozent der unterhaltspflichtigen Väter verdient mehr als 1134 Euro. Das hat Finanzwissenschaftler Andreas Peichl von der Universität München ausgerechnet.

Dürftige Verdienste für dürftigen Bedarf

Damit verdienen diese mehr als die Hälfte unterhaltspflichtigen Väter netto sogar noch weniger, als sie eigentlich behalten dürften, bevor sie nach Düsseldorfer Tabelle für ihre Kinder unterhaltspflichtig werden. Denn dafür gibt es ja Selbstbehalte. Grundidee: Von irgendwas muss der Unterhaltspflichtige ja auch leben und im Idealfall das gemeinsame Kind verpflegen, wenn es idealerweise regelmäßig zu Besuch kommt.

Behalten darf ein Unterhaltspflichtiger einen Selbstbehalt von 880 Euro monatlich, wenn er nichterwerbstätig ist und 1080 Euro, wenn er erwerbstätig ist. Kosten für Unterkunft inklusive umlagefähiger Nebenkosten und auch noch Heizung sind in Höhe von 380 Euro enthalten. Wie der vorgesehene Betrag dann in der Realität auch nur annähernd sogar nur für den Single-Vater in einer Single-Wohnung reichen soll, darüber mag ich nicht spekulieren.

Aber auch wer mehr verdient, hat ein Problem mit dem Netto. Nicht nur alleinerziehende Elternteile sind steuerlich benachteiligt. Zum Single-Steuersatz bekommen sie immerhin wie alle Eltern als steuerlichen Ausgleich das Kindergeld oder den Kinderfreibetrag. Und gegebenenfalls den Unterhaltsvorschuss – sofern sie nicht das Pech haben, verwitwet zu sein. Bei unterhaltspflichtigen Elternteilen macht der Staat dagegen überhaupt keinen Unterschied mehr zum Single. ohne Verpflichtungen – sofern sie nicht neu geheiratet haben.

Zahleltern können auch seit ein paar Jahren nicht mal mehr den Kindesunterhalt steuermindernd ansetzen – früher war dies möglich, heute geht es nur noch für freiwillig gezahlten Unterhalt.

Endlich den Kindergrundbedarf steuerfrei stellen?

Eigentlich könnte es doch ganz einfach sein: Weniger Steuern im unteren und mittleren Bereich speziell für Eltern – echte Grundfreibeträge für jedes Haushaltsmitglied und/oder unterhaltsberechtigtes Familienmitglied. Das dürfte bei den Mäßig-Verdienern im unteren Einkommensdrittel viel bewirken und der ärgsten Kinderarmut wirksam und spürbar abhelfen.

Das Zauberwort: Angemessenheit

Und mit Blick auf die von der FAZ beschriebenen häufig zur Drückebergerei genutzten Abschreibungsmöglichkeiten kann das Zauberwort doch nur lauten Angemessenheit. Das Finanzamt braucht doch einfach bloß zumindest bei amtsbekannten Drückebergern darauf gucken, worauf es auch sonst bei Selbständigen und Unternehmern längst achtet, zum Beispiel bei Dienstwagen: nämlich, ob die angesetzte Abschreibung im Verhältnis zum Einkommen steht.

Die Jugendämter werden doch sehr genau wissen, bei wem über Jahre kein Unterhalt beizutreiben ist. Es wird doch auch sonst jede Menge an das Finanzamt gemeldet – also warum nicht einfach neben den automatisch gemeldeten Sozialversicherungsbeiträgen oder den hier und da aufpoppenden Kontrollmitteilungen zumindest ab gewissen Beträgen auch noch die Meldung über offene Unterhaltsforderungen des Jugend- oder Sozialamtes an das Finanzamt weitergeben?

Wäre doch sehr einfach.

Und wenn dann bei dem Steuerzahler hohe Beträge beim Amt offen sind, müssten beim Finanzamt Zweifel aufkommen, ob der nun fröhlich geltend gemachte Abzug rechtmäßig ist.

Das scheint mir eine sehr einfache Lösung zu sein, die zudem verspricht, höchst wirkungsvoll zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Eintreibquote dann noch so niedrig bleiben wird. Jedenfalls nicht bei denen, bei denen auch etwas zu holen wäre.

Warum Richter rechnen und denken sollten

Richter können richten, nicht rechnen. An diesen alten und immer wieder wahren Satz musste ich bei diesem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden denken.

Die Richter sprachen drei Elternpaaren den Anspruch auf Schadensersatz ab, denen das Land – trotz bestehenden Rechtsanspruchs – keinen Kita-Betreuungsplatz anbieten konnte.

Der Anspruch sei ein Anspruch der Kinder auf frühkindliche Förderung, argumentierten die Richter, nicht ein Anspruch der Eltern beispielsweise auf die (so genannte) Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die sei nur Folge der Betreuung – also praktisch nicht deren Sinn, wenn ich jetzt mal dieses Argument und was die Richter damit vielleicht sagen wollen zu Ende denke.

Aber: Die Kinder sind ja vom Verdienstausfall betroffen.

Ich kenne jetzt die Verhältnisse der klagenden Eltern nicht im Detail, daher kann ich nicht beurteilen, in welchem Umfang genau. Aber im Extremfall sind die Kinder sehr wohl materiell, sozial und gesundheitlich betroffen, wenn die Eltern Einkommensverluste hinnehmen müssen. Darüber gibt es Studien. Und – mal ehrlich: dafür reicht schon Milchmädchen-Rechenkunst. Und das ist auch mehr als nur der Folgeschaden, den Heribert Prantl feststellt – der Schaden der Eltern betrifft den Haushalt, in dem die Kinder leben.

Auch vermisse ich einen Anhaltspunkt darüber, was denn nun dann die Konsequenz aus der Verletzung des Rechts der Kinder sein soll, die die Richter ja zugestehen. Keine? Welchen Wert hat dann ein Gesetz und darin verbriefte Ansprüche? Keinen?

Richter (und nebenbei bemerkt natürlich auch Rechtsanwälte und Staatsanwälte und alle sonstigen Juristen auch) brauchen aber nicht nicht nur offenbar nicht rechnen zu können, um Recht und Unrecht zu verhandeln und zu entscheiden. Sie kommen anscheinend sogar ohne Denken zumindest durch das Studium. Allem Anschein nach jedenfalls sind da kritische oder auch nur Verständnis-Nachfragen unerwünscht. Damit jedenfalls begründet der Verfasser dieses Textes seinen Studienabbruch.

Schon klar, dass Juristen die Gesetze kennen sollten. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Und bei der umfassenden und komplexen bis komplizierten Materie ist das Studium damit auch schon gut gefüllt. Natürlich.

Aber wer, wenn nicht Juristen, sollte deren Sinn und damit auch mögliche Verbindungen und Wechselwirkungen von Gesetzen und Rechtsgrundlagen verstehen lernen? Vielleicht mal die Frage überdacht haben, welchen Wert ein Gesetz hat, dessen Sinn die Betroffenen nicht einklagen können?

Ich würde da gern denken: “Juristen vielleicht…?”

Die nicht gestellte Verfassungsfrage

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat gestern ein Urteil gefällt, das einige Gerechtigkeitsfragen aufwirft. Knapp soviel: Wer sich mit seinen Eltern überwirft oder von diesen missachtet und enterbt wird, muss trotzdem im Alter Unterhalt für sie zahlen. So das Urteil. Außer, die Eltern haben sich zu Kinderzeiten – also vor Eintritt der Volljährigkeit schwerer Verfehlungen schuldig gemacht. Hier ein Artikel von mir dazu gestern bei Welt Online, warum das Urteil mit Blick auf die Gesetzeslage zu erwarten war. Und hier noch der Bericht über Urteil und Fallkonstellation. Das BGH-Urteil zur Übernahme der Pflegekosten von Eltern ist logisch mit Blick auf das Gesetz, das die Richter ja immer anwenden müssen. Aber wäre es nicht eigentlich ein Fall für das Verfassungsgericht?

Der Reihe: Auch wer individuell von seiner Familie getrennte Wege geht, bleibt mit seinen Angehörigen verbunden. Denn laut Gesetz hat die Familie also soziale Auffanginstitution immer Vorrang vor dem Sozialsystem, legt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) fest. Das mag vielleicht nicht zu einer Gesellschaft passen, die sich als zunehmend individualisiert zumindest empfindet – aber das macht es noch nicht falsch.

Gesetze und auch Gerichte hinken der gesellschaftlichen Entwicklung immer hinterher. So hat es der BGH mal als grobe Verfehlung eingestuft, dass eine Mutter ihr Kind im Alter von einem Jahr den Großeltern überantwortet hat – in einer Zeit, in der das beinah schon als sozialer Alltag gelten kann. Dagegen sah es der oberste Gerichtshof im gestern beurteilten Fall nicht als grobe Verfehlung des Vaters an, dass er nicht nur von seinem guten Recht Gebrauch gemacht hat, seinem Kind das Erbe bis auf den Pflichtteil zu entziehen, sondern dass er offensichtlich dazu noch vorhandene Vermögenswerte nicht für die eigenen Pflegekosten und den eigenen Lebensunterhalt verwendet hat – was er laut Sozialgesetzgebung gemusst hätte –, sondern dem Zugriff des Sozialamts entzogen und einer Freundin vermacht hat.

Sprich: Das Gericht – und zuvor das Amt – nimmt also nicht die vom Vater begünstigte Erbin in die Pflicht, sondern den Sohn, wegen der familiären Unterhaltspflicht. Genau mit Blick darauf kritisiert denn auch Josef Linsler, Vorsitzender des Interessenverbands Unterhalt und Familienrecht (ISUV) das Urteil. Er hält es für grob unsolidarisch. „Der Vater enterbt den Sohn, die Bekannte erbt und der Sohn „erbt“ die Unterhaltsschulden“, resümmiert der ISUV-Vorsitzende Josef Linsler. „Der BGH hat eine Chance verpasst, ein gesellschaftlich wichtiges Signal zu setzen“, findet Linsler. Er spricht sich dafür aus, den Erben in die Pflicht zu nehmen, mit dem sich der Erblasser solidarisiert hat.

Das allein erklärt aber noch nicht die menschliche Aufregung.

Die Richter haben gestern einen Mann verurteilt – selber bereits Pensionär –, der offenbar nicht nur 40 Jahre keinen Kontakt zum Vater gehabt hatte, sondern dazu noch auf offensichtlich verletzende Weise von diesem behandelt worden ist. Im Erwachsenenalter zwar erst – deshalb war das Urteil auch folgerichtig und nicht anders zu erwarten. Die Anwältin des Sohns Brunhilde Ackermann hat das Urteil als menschliche Tragödie bezeichnet. Und selbst die BGH-Richter haben sich ganz offensichtlich schwer mit dem Urteil getan. Darüber haben sie Berichten zufolge in der öffentlichen Verhandlung sogar gesprochen.

Ich frage mich: Hätten die Richter nicht gute Gründe gehabt, den Fall an das Bundesverfassungsgericht weiterzureichen?

Sowas kommt ja vor. Ich bin keine Juristin, aber interessiere mich. Und weiß: Das BGB ist gesetzliche Grundlage für vieles, auch Fragen des Unterhalts. Aber unter dem BGB drunter gleichermaßen liegt die Verfassung. Das Grundgesetz. Und in dem Fall müssten doch eigentlich zwei verfassungsrechtliche Werte berührt sein. Oder sehe ich das falsch? Daher auch die Aufregung: Der eine Wert ist unter den Tisch gefallen.

Einerseits ist da der Schutz und die besondere Stellung der Familie, die natürlich umgekehrt auch sozial verpflichtet und dem das BGB mit dem unbedingten Vorrang vor Sozialleistungen Rechnung trägt – was grundsätzlich richtig und gut ist. Nebenbei bemerkt zählt am Ende ja dann auch die Zahlungsfähigkeit der Unterhaltspflichtigen und gibt es weitreichende Schonregelungen, die dafür sorgen, dass Betroffene nicht ihren Lebensstandard einbüßen müssen – dazu am Montag mehr in der Welt und bei Welt Online.

Auf der anderen Seite steht da noch die Würde des Menschen im Raum, geregelt durch Artikel 1 GG. Die zu schützen Aufgabe aller staatlichen Gewalt ist. Und zu der gehören Richter und Ämter dazu. – Wie weit ist es mit der her in diesem Fall? Nicht sehr weit, würde ich sagen und selbst die Richter hatten ja ihre Zweifel.

Nun ist natürlich die Frage, warum die Allgemeinheit zahlen soll, wenn doch zahlungsfähige Angehörige da sind. Aber die Allgemeinheit zahlt ja auch anstandslos für Kinderlose oder Eltern mit wenig zahlungskräftigem Nachwuchs. Warum also nicht auch für solche, deren persönliche Beziehungen zutiefst gestört sind – wenn sonst deren Würde verletzt wird. Im Grundgesetz steht die Würde des Menschen an erster Stelle.

In dem Punkt sendet das Urteil auch in Richtung Familien eine verfassungsrechtlich durchaus fragwürdige Botschaft. Diese lautet: Wenn Du Kinder bekommst oder hast, weißt Du schon jetzt: Mit Blick auf die unterfinanzierte Pflegeversicherung werden dereinst mal die eigenen Kinder – so sie gut genug verdienen – nicht nur für einen selbst mitzahlen und das wahrscheinlich zeitgleich für die Enkel mit – so geht es vielen Angehörigen der so genannten Sandwich-Generation zwischen 40 und 60 –, sondern dazu noch für kinderlose Pflegebedürftige. Bei denen sich naturgemäß kein Unterhaltspflichtiger findet. Was geht, wird für die Pflege abgezogen. Und zwar wenn nach Steuern und Sozialabgaben – für die auch kinderlose Allgemeinheit – noch etwas für die Eltern übrigbleibt, dann für sie selbst.

Und das, wo Experten schon die Besteuerung von Familien für verfassungswidrig halten, der Vorsitzende des Landesssozialgerichts Darmstadt, Jürgen Borchert, ist einer davon. Familien gelten Alleinstehenden gegenüber nicht grundlos als sozialrechtlich und steuerlich benachteiligt – Extrapunkte bei der Rentenversicherung hin oder her.

Hinzu kommt: Man kann der Kontrollwut beim Explodieren zusehen. Und damit geht es weg von juristischen hin zu ökonomischen Fragen.

Die seit vielen Monaten in der Debatte präsenten Steuer-CDs sind das eine. Der immer leichtere Zugriff auf Bank-, Renten- und Versicherungsdaten. Und nun noch der schon durch die erwartungsgemäß weiter wachsende schiere Zahl pflegebedürftiger Alter. Samt dem immer größeren Kontrollapparat, der nötig ist für die naturgemäß auch immer zahlreicheren Fälle, in denen Sozialämter für Pflegekosten einspringen müssen – und erst einmal die Verhältnisse sichten, Ansprüche klären und schließlich auch geltend machen und letztlich exekutieren müssen. Notfalls bis zum obersten Gericht und dem Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts, der dann vielleicht pfändet, wenn es etwas gibt.

Wer jetzt noch nicht mit dem bislang eher verrufenen, aber von vielen seriösen Experten für gut befundenen System des bedingungslosen Grundeinkommens sympathisiert, den könnte das zum Nachdenken bringen. Nicht wenige seriöse Ökonomen erörtern ja ernsthaft die Vorteile dieses Systems. Natürlich gibt es den berühmt-berüchtigten Gratis-Lunch nicht. Aber man könnte ja auch mal die Kosten für das allen zur Verfügung gestellte Einkommen dem dafür eingesparten immensen Kontrollaufwand gegenüberstellen, der für das jetzige Sozialsystem notwendig ist.

Das Argument jedenfalls, ein Grundeinkommen sei zu teuer, dürfte gegenüber den Realitäten verblassen. Und dass es nicht zu Leistung anreizt, glaube ich nicht. Dinge werden sich sicher verändern – vielleicht ja auch zum Guten, wenn nämlich die Menschen dank finanziell größerer Freiheit machen können, woran ihr Herz hängt. Wahrscheinlich gäbe es dann noch mehr der jetzt und in Zukunft noch mehr benötigten Ehrenamtler. Wäre ja auch was.

Wie die Lösung dann konkret aussähe, das sollten die Experten aber auf jeden Fall europaweit ausklügeln. Das muss schon sein, sonst gibt es wieder neue Probleme, das zeigen ja auch aktuelle Diskussionen wie die um – Unwort des Jahres: Sozialtourismus beispielsweise.

Profiler

Womit sich Gerichte so beschäftigen müssen – darüber will ich manchmal lieber gar nicht nachdenken.

Aber gut, dafür sind sie da. Und das ist gut so. Die Gerichte stehen allen offen, und die Richter sind unabhängig. Gut so, beides. Urteile allerdings beziehen sich aufeinander, oft jedenfalls. Ich frage mich daher, was dieses Urteil hier für den Unfallversicherungsschutz bedeutet – immerhin vom Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az.: L 2 U 71/11) und das Urteil ist höchstrichterlich, keine Revision zugelassen. In der Konsequenz. Für Normalsterbliche, nicht für Juristen.

Mal abgesehen davon, dass der Fall erschreckend ist: Da hat ein Mann mit einem Lkw den Blumenstand seiner Ex-Frau gerammt. Und der schwer verletzten Frau wurde der Unfallversicherungsschutz verwehrt, weil die Tat “privat veranlasst” war. Sie geht leer aus, obwohl sie alles richtig gemacht hat.

Ich dachte eigentlich immer, beim Schutz durch die gesetzliche Unfallversicherung komme es darauf an, dass der Versicherte die Anforderungen erfüllt – dass er also bei der Arbeit oder auch etwa in der Schule zu Schaden kommt oder auf direktem Weg hin oder wieder weg davon. Und natürlich versichert ist.

So habe ich die bisherigen Urteile verstanden.

Spielen wir doch mal durch, was das Urteil sozialversicherungsrechtlich bedeuten könnte. Was wäre denn, wenn der Fahrer ein direkter Konkurrent gewesen wäre, der die Frau und ihren Blumenstand da mit seinem Laster gerammt hat? Gleicher Fall, anderes Motiv. Eindeutig beruflich motiviert – damit müsste es versichert sein. Andererseits wäre es natürlich bekloppt und völlig überzogen – und damit wieder privat motiviert. Und damit nicht versichert? Oder würde es hier darum gehen, ob der Täter zurechnungsfähig war? Wenn ja, gleich privat veranlasst und damit nicht versichert, wenn nein, dann krankheitsbedingt und versichert? Oder geht es um den kriminellen Vorsatz? Wenn ja: Ist es dann im Sinne der Allgemeinheit, dass Leute, die bei der Arbeit oder in der Schule Opfer werden, den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung verlieren? Ich denke jetzt auch mal an Amokläufe. Zum Beispiel.

Weiter, gleiche Ausgangslage: Was, wenn der Fahrer sich einfach nur gerade im Cockpit mit einer Wespe geschlagen hätte und deshalb versehentlich mit seinem Laster vom Weg abgekommen und in den Blumenstand gerauscht wäre? Dann wäre das ja ein astreiner Unfall – und somit versichert? Wie wäre es denn, wenn er sich stattdessen nach einer CD gebückt hätte und deshalb versehentlich von der Straße abgekommen wäre? Oder – solche Fälle gibt es ja – es hat jemand sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen: privat veranlasst? Und damit kein Geld für den Geschädigten?

Fragen über Fragen.

Ganz neue Jobmöglichkeiten in der gesetzlichen Sozialversicherung brächte das mit sich: Motivforschung. Vielleicht haben sie ja dann irgendwann auch ein paar Profiler am Werk… Und wer weiß? Vielleicht ja irgendwann auch den ein oder anderen Gedankenleser.

Lieber gut abgesichert sein.