Kirchhof, alter Romantiker…

Er ist wieder da, der Heidelberger Professor. So betitelte Altbundeskanzler Gerhard Schröder Paul Kirchhof einmal zu Wahlkampfzeiten. Und er hat sein Steuermodell der 25 Prozent auf alles noch ein wenig verfeinert. Die 33.000 Paragraphen des deutschen Steuerrechts will er auf 146 zusammenschnurren lassen, hat die Süddeutsche Zeitung ausgerechnet.

Für Kirchhof hat die Frage, wie der Bürger besteuert wird, viel mit der Frage nach der Würde des Menschen zu tun. Die Steuer hat Kirchhof vor ein paar Jahren in seinem Buch „Der Weg zu einem neuen Steuerrecht“ bezeichnet als: „Ausdruck der jeweiligen Freiheitskultur: Sie belässt das Wirtschaftsleben in privater Hand, vertraut auf die freiheitlichen Initiativen der Menschen und zieht sich darauf zurück, einen maßvollen Teil des erzielten Privateinkommens und der eingesetzten Kaufkraft für den Staat zu beanspruchen. Die Steuer fordert Zahlungen, nicht aber Hand- und Spanndienste, Lehens- und Treueverhältnisse“, so stellt es sich Kirchhof vor.

Wenn das Steuerrecht dem Staat Herrschaft nicht nur über Geld, sondern auch über die Verhaltensfreiheit des Steuerpflichtigen vermittelt, entfernt es sich von der ursprünglichen Idee des Steuerstaates“, bemängelt Kirchhof. Schließlich waren es die „Feudalzeiten des Mittelalters“, in denen Könige und Fürsten als Besitzer von großen Ländereien auch Herrschaft über die dort wohnenden Menschen gewonnen hätten. Kirchhof fordert: „Wer sein Verhalten an staatlichen Investitions- oder Umweltschutzprogrammen ausrichtet, wird für diese Staatstreue nicht steuerlich belohnt, wer im Rahmen der Gesetze eigene Wege geht, nicht steuerlich benachteiligt.“

Schön wär’s.

Kirchhof ist eben ein Romantiker. Nein, ich denke jetzt nicht an Abendessen bei Kerzenschein oder Hochzeit in weiß, sondern an die Verve, Werte und Überzeugungen noch einzufordern. Idealismus, selbst im Steuerrecht. Als ehemaliger Verfassungsrichter nimmt Kirchhof verfassungsrechtliche Werte und Regeln noch beim Wort.

Ob es die von vielen im Steuerrecht ersehnte Bewegung ins Spiel bringen wird – viele halten das ja für sehr unwahrscheinlich. Mag sein, dafür sprechen die vielen Lobbyverflechtungen zu Leuten, denen Kirchhofs Ideen mächtig gegen den Strich gehen werden. In jedem Fall kann es die Debatte darüber, wem was bleibt und warum nur beflügeln. Und das könnte sich noch als eine Menge wert erweisen. Wer weiß. Wer es nicht versucht, hat jedenfalls erfahrungsgemäß schon gleich verloren.

Vorsichtig vorpreschen

Hübsch übrigens die nun beschlossene Erhöhung der Werbungskostenpauschale, die rasanteste der nun beschlossenen Reformen: Sie soll im Dezember in Kraft treten.

Falls Sie kein Arbeitnehmer sind oder so hohe Werbungskosten verzeichnen, dass Sie sowieso jede Quittung aufbewahren müssen: Die Pauschale steigt also damit schon 2011 von 920 auf 1000 Euro. Konkret: Der Mehrbetrag von 80 EUR wird für 2011 bei der Lohnabrechnung für Dezember als Einmalbetrag steuerfrei belassen und ab 2012 auf die Monate verteilt.

Klingt jetzt nicht nach wahnsinnig viel und ist es auch nicht.

Eher nach einer sehr vorsichtigen Steuerkosmetik. Der Steuervorteil für die betroffenen Arbeitnehmer liegt bei maximal 35 Euro im Jahr. „Viel Lärm um fast nichts“, meint Jörg Strötzel, Vorstand des Lohnsteuerhilfevereins VLH. Lohnsteuerhilfeverein.

Immerhin: Nach Angaben der CDU müssen nun weitere 550.000 Arbeitnehmer keine Belege sammeln. Insgesamt soll diese Änderung die Arbeitnehmer um 330 Millionen Euro entlasten.

Vorsichtig vorpreschen

Hübsch übrigens die nun beschlossene Erhöhung der Werbungskostenpauschale, die rasanteste der nun beschlossenen Reformen: Sie soll im Dezember in Kraft treten.

Falls Sie kein Arbeitnehmer sind oder so hohe Werbungskosten verzeichnen, dass Sie sowieso jede Quittung aufbewahren müssen: Die Pauschale steigt also damit schon 2011 von 920 auf 1000 Euro. Konkret: Der Mehrbetrag von 80 EUR wird für 2011 bei der Lohnabrechnung für Dezember als Einmalbetrag steuerfrei belassen und ab 2012 auf die Monate verteilt.

Klingt jetzt nicht nach wahnsinnig viel – und ist es auch nicht.

Ehrer nach einer sehr vorsichtigen Steuerkosmetik. Der Steuervorteil für die betroffenen Arbeitnehmer liegt bei maximal 35 Euro im Jahr. „Viel Lärm um fast nichts“, meint Jörg Strötzel, Vorstand des Lohnsteuerhilfevereins VLH. Lohnsteuerhilfeverein.

Immerhin: Nach Angaben der CDU müssen nun weitere 550.000 Arbeitnehmer keine Belege sammeln. Insgesamt soll diese Änderung die Arbeitnehmer um 330 Millionen Euro entlasten.

Hoppla – Kinderkacke!

Da war doch was: Ein Hinweis meiner Steuerberaterin wegen unserer Kinderbetreuungskosten. Die mache ich – wir sind beide berufstätig – als Betriebsausgaben steuerlich geltend. Zu zwei Drittel, aber in der Hoffnung, sie vielleicht doch noch voll von meinem zu versteuernden Einkommen abziehen zu können. Irgendein Verfahren vor dem Bundesfinanzhof läuft da gerade – die Steuerbescheide der vergangenen Jahre sind jedenfalls in dem Punkt noch offen.

Und es sieht offenbar gut aus.

Nehme ich jedenfalls an. Oder warum sonst sollte die Bundesregierung nun flugs mit einer kleinen Vereinfachung bei der Hand sein: Sie, liebe Steuerzahler – und ich natürlich auch – brauchen nun bald nicht mehr mühselig in der Anlage Kind zu unterscheiden, ob Sie die Kinderbetreuungskosten wegen Ihrer Berufstätigkeit, Ausbildung oder Krankheit der Eltern auf sich nehmen. Es geht nun ganz einfach: Sie tragen die Kosten bloß bei den Sonderausgaben in Ihrem Mantelbogen ein. Ganz einfach. Das können von nun an alle Eltern mit allen Kinderbetreuungskosten. Bis zu zwei Drittel der Kosten sind abziehbar, maximal 4.000 EUR pro Kind unter 14 Jahren.

Ob der BFH den vollen Steuerabzug für berufsbedingte Kinderbetreuungskosten dann am Ende durchwinkt, das braucht uns dann natürlich nicht mehr zu interessieren. Sind ja jetzt andere Kosten.

Pech, wenn Sie Ihr Kind aus beruflichen Gründen betreuen lassen.

Sicher auch schön für den Fiskus: Da Sie ja nur noch die berufsbedingten Steuerberatungskosten steuerlich geltend machen können – also praktisch für alles, was der Steuerberater nicht in den Mantelbogen schreibt – , dürfte der Anteil der privat veranlassten und damit nicht abziehbaren Steuerberatungskosten nun ein bisschen üppiger ausfallen. Ist ja Ihr Geld.
Aber irgendwen wird die neue Regelung schon freuen. Schließlich soll diese Steuererleichterung den Staat angeblich jährlich etwa 60 Millionen Euro kosten. Wenn’s stimmt.

Kleiner Nachtrag: Ich habe jemanden gefunden, den die Neuerung freuen wird: Die Kommunen. Sie werden weniger Zuschüsse zu Kitabeiträgen oder Tagesmütterhonoraren zahlen müssen. Denn: Der Zuschuss bemisst sich vielerorts am Bruttoeinkommen. Und das fällt natürlich höher aus, wenn es nicht durch Kinderbetreuungskosten gemindert wird. Darauf hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung in dem Zusammenhang schon vor Jahresende hingewiesen.

Mehr Brutto bedeutet natürlich auch: höhere Beiträge an die gesetzliche Sozialversicherung. Auch die wird’s freuen.

Umgekehrt allerdings auch: Mehr Brutto gleich mehr Elterngeld im nächsten Jahr.

German Roulette. Oder manche würden sagen „Linke Tasche, rechte Tasche“.
 

Wovon reden wir eigentlich?

Steuern sind nicht grundsätzlich schlecht. Die Frage ist nur, worauf und in welcher Höhe. Die Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sprechen eine klare Sprache – Jahr für Jahr: Deutschland belastet wie kaum ein anderes OECD-Land die Einkommen von Gering- und Durchschnittsverdienern mit Sozialabgaben und Steuern – mit fast 50 Prozent des Einkommens. Nur Belgien und Frankreich belasten ihre Durchschnittsverdiener stärker.

Viele namhafte Experten halten das Steuer- (und Sozialversicherungs)system nicht nur für unnötig komplex und kompliziert, sondern zudem für ungerecht, leistungsfeindlich und wirtschaftlich schädlich.

Die Belastung gerade der unteren Einkommensschichten hat der Bund der Steuerzahler kürzlich erst als gespenstisch bezeichnet. Zwei Probleme rücken da mit Blick auf das von Paul Kirchhof vorgeschlagene Steuerkonzept gerade wieder in den Fokus: die kalte Progression und der so genannte Mittelstandsbauch.

Kalte Progression

Steuerfrei darf jeder derzeit 8004 Euro im Jahr für sich behalten – Verheiratete zusammen 16.008 Euro. Wer weniger Einkünfte verzeichnet, zahlt keine Steuern zahlen, wenn auch durchaus seine Sozialabgaben. Für jeden über dem Grundfreibetrag verdienten Euro ist ein progressiv – also zunehmend stark steigender – Steuersatz fällig. Für Ledige geht es bei 8005 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen mit 14 Prozent los und langt dann bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 52 882 Euro bei 42 Prozent an. Bei Top-Verdienern ist von über 250 000 Euro an (Ledige) ein oft als Reichensteuer bezeichneter Prozentsatz über dem Spitzensteuersatz fällig, nämlich 45 Prozent auf jeden zusätzlich verdienten Euro.

Die „kalte Progression“ ist eine Art heimliche Steuererhöhung. Sie kommt dadurch zustande, dass Lohnzuwächse durch die dann höhere Einkommensteuerbelastung zu großen Teilen aufgezehrt werden. Der progressive Einkommenssteuertarif führt schließlich dazu, dass der Steuerzahler einen zunehmenden Anteil des Einkommens an den Fiskus abzuliefern hat – und die Progressionsstufen hebt der Gesetzgeber eben nicht mit den Tarifsteigerungen an. Das ist vor allem dann problematisch, wenn die nominalen Lohnerhöhungen nur die Preissteigerung ausgleichen. Denn in dem Fall profitiert der Fiskus überproportional.

Mittelstandsbauch

Ein anderes Problem des deutschen Einkommensteuerrechts ist der so genannte Mittelstandsbauch. Der entsteht, weil der progressive Steuertarif zwischen 14 und 42 Prozent nicht gleichmäßig steigt, sondern bis zu einem Einkommen von 13 469 Euro sehr steil. Bereits von 13 470 Euro an verlangt der Fiskus rund 24 Prozent (23,97 Prozent). Danach gibt es einen Knick und die Kurve verläuft von da an wesentlich flacher, bis bei 52 882 Euro 42 Prozent Steuersatz gezahlt werden müssen. Folge ist, dass vor allem kleinere und mittlere Einkommen im Vergleich zu höheren Einkommen proportional höher belastet werden.

Der BFH schüttelt den Kopf

Die Richter am Bundesfinanzhof (BFH) müssen sich neulich wirklich geärgert haben. Dafür spricht die Überschrift einer Pressemitteilung, die der Gerichtshof da vor kurzem abgesetzt hat: „BFH wendet nahezu unverständliche Regelung zur Mindestbesteuerung nach erfolgloser Vorlage an das BVerfG an“.

Überschrift, wohlgemerkt.

In beiden Fällen (Az.: IX R 72/04, Az.: IX R 56/05) ging es bei gemeinsam veranlagten Ehepaaren um die Frage, ob und inwieweit Einkünfte mittels Verlustrücktrags die Steuerlast mindern.

Das ist – grundsätzlich zumindest – rasch erklärt: Steuerzahler dürfen bei der Einkommensteuererklärung negative Einkünfte auch über mehrere Steuerjahre hinweg mit positiven Einkünften verrechnen. So kann ein Verlust entstehen, der in ein vorangegangenes oder zukünftiges Steuerjahr geschoben wird und so als Verlustvor- oder -rücktrag die Steuer mindert.

Schön für den Steuerzahler, wenn die Einkünfte stark schwanken. Dumm für den Fiskus, denn so kommen weniger Steuern herein.

Daher führte der Gesetzgeber Regelungen für eine Mindestbesteuerung ein, die den Vor- und Rücktrag beschränken sollten. Der von den den Richtern nun als „nahezu unverständlich“ kritisierte, strittige Paragraf 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) war von 1999 an bis Ende 2003 gültig (Fassung der Steuerentlastungsgesetze 1999/2000/2002 (StEntlG)). Unter anderem sah die umkämpfte Regelung vor, zwischen „aktiven und passiven Einkünften“ zu unterscheiden.

Die Novelle war damals von Fachleuten heftig kritisiert worden. Verfassungs- und Steuerrechtler Paul Kirchhof – ja der ehemalige Kandidat für das Bundespräsidentenamt – hatte sie laut Urteilsbegründung als „rechtsstaatlich misslungen“ bezeichnet.

Die BFH-Richter fanden diesen von den beiden Finanzämtern jeweils als Begründung angeführten Paragraphen jedenfalls „nahezu unverständlich“ – und legte die Fälle dem Bundesverfassungsgericht vor. Die obersten Richter sollten prüfen, ob gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit verstoßen werde.

Aber die Verfassungshüter wollten nicht – das Bundesverfassungsgericht nahm die Vorlage nicht an (Az.: 2 BvL 59/06).

Und so legten die obersten Finanzrichter die Regelung eben selbst aus – zugunsten der Steuerzahler. Man merkt, die Richter hätten das lieber nicht tun müssen. Wollen. Sie wissen schon. Daher wiesen sie in ihrer Urteilsbegründung darauf hin: „Im Rahmen der Norminterpretation muss jedenfalls davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber weder unsinnige noch unbillige Lösungen treffen und im Übrigen –wie in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/23, 166) ausdrücklich betont– die Vorgaben der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Verlustberücksichtigung respektieren wollte.“
Sie müssen sich wirklich geärgert haben.

Ach so – falls es Sie interessiert: Hier noch kurz die Fälle:

In dem einen Fall hatte ein Ehepaar 1997 eine GmbH & Co. KG gegründet, die in der Anlaufphase ihrer Tätigkeit ausschließlich negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hatte. Das Finanzamt wollte auch in diesem Fall den Gewerbeverlust nach Paragraf 2 Abs. 3 EStG nur teilweise zum Verlustausgleich mit anderen positiven Einkünften zulassen. Es befand, es handele sich um „unechte Verluste“.

Der BFH stellte sich auf die Seite der Steuerzahler (IX R 56/05). Die mit der Mindestbesteuerungsregelung verbundene Beschränkung der Verlustverrechnung erfasse nur Verluste, die nicht wirtschaftlich erzielt werden – so genannte unechte Verluste. Tatsächlich wirtschaftlich erzielte Verluste – also echte Verluste – könnten dagegen voll ausgeglichen werden, so die Richter. Und im Fall der Eheleute sei es um echte Verluste gegangen, so die Richter.

In ihrer Begründung zogen sie sich die Richter darauf zurück, dass die Mindestbesteuerungsregelung der Auslegung bedürfe, weil der Wortlaut für sich genommen „keinen eindeutigen Sinn“ ergebe. Die Regelung legten sie so aus, dass die mit ihr verbundene Einschränkung der Verlustverrechnung nur unechte Verluste betreffe, die beispielsweise auf die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen zurückzuführen seien.

Im anderen Fall (Verfahren IX R 72/04) hatte der BFH einem zusammen veranlagten Ehepaar darin beigepflichtet, dass der 1999 erlittene Verlust voll mit positiven Einkünften aus dem Jahr 1998 verrechnet werden müsse, da Paragraf 2 Abs. 3 EStG nicht für 1998 rückwirkend gültig sei. Die Regelung sehe für ihr Verständnis eine Mindestbesteuerung erstmals für 1999 vor, so die Richter.