neulich war da wieder so ein Urteil. Das allerdings fand ich überhaupt nicht lustig.
Meinem juristisch laienhaften Gehirn drängen sich Fragen auf. Da verurteilten die Richter des Marburger Sozialgerichts ein Sozialamt, die Abwrackprämie von 2500 Euro bei einer ALG-II-Bezieherin nicht als Einkommen anzurechnen. Das stelle eine Ungleichbehandlung von Leistungsbeziehern und Nichtleistungsbeziehern dar, befanden die Richter. Die Prämie diene der Konjunkturbelebung. Und zu der müssten Hartz-IV-Empfänger „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ beitragen können.
Nicht dass ich jemandem Auto oder Prämie neide. Aber ich frage mich, ob nach der Subprimekrise das Schuldenmachen in ärmeren Zielgruppen – das Vermögen der Frau wird aufgezehrt sein, wenn sie ALG II bekommt – staatlich gefördert werden soll, um die Konjunktur anzukurbeln… Geschenkt. Vor allem frage ich mich, was mit der Gleichbehandlung der Sozialhilfeempfänger ist, die ihr Geld nicht für Neuwagen ausgeben, sondern für ihre Kinder.
Echt spannende Schieflage, finde ich.
Zum Nachdenken brachte mich die Einschulung unserer Tochter. Wir schauen uns seit einiger Zeit um, welche Schule wir uns für sie wünschen. Wenn Sie Ansprüche haben und nicht gerade neben einer der idyllischeren Schulen wohnen, liegt in Hessen der Gedanke an Privatschule nahe. Denn anders als in anderen Bundesländern gibt es keine freie Schulwahl. Und wegen der engen Kooperation mit weiterführenden Schulen stellen Sie die Weichen für das gesamte Schulleben. Gut, die Schulen in unserem Viertel sollen sich enorm gemacht haben. Habe ich neben Horrorgeschichten auch gehört. Aber hier häufen sich auch Probleme wie Langzeitarbeitslosigkeit, Alkoholsucht, rauer Umgangston oder auch Bildungsferne. Also gucken wir uns um. Mich überrascht nicht, dass zehn Prozent der Gymnasiasten auf Privatschulen gehen. Ergab eine Studie.
Jedenfalls: Wenn wir nun unser Kind auf eine Privatschule geben würden, könnten wir 5000 Euro Schulgeld jährlich von der Steuer absetzen. Zum Kindergeld oder -freibetrag dazu. Feine Sache.
Korrekt und sinnvoll ist das gesellschaftlich und wirtschaftlich wohl nicht.
Klar, dass Eltern, die von Hartz IV leben, sich das nicht leisten könnten. Brauchen wir gar nicht drüber zu reden. Aber nicht nur das: Sozialhilfeempfängern wird außerdem das komplette Kindergeld von 164 Euro pro Monat als Einkommen angerechnet und die Sozialhilfe gekürzt. Und nun das Urteil zur Abwrackprämie…
Fazit: Wenn sie sich ein neues Auto kaufen, dürfen Sozialhilfeempfänger 2500 Euro behalten. Aber sie dürfen knapp 1968 Euro für ihre Kinder nicht behalten.
Wäre glatt mal eine Abiturfrage für Sozialkunde wert: „Was sagen Ihnen diese drei sozial- und steuerrechtlichen Tatbestände über die Wertschätzung in unserer Gesellschaft? Diskutieren Sie.“
Ob es bei dem Urteil bleibt? Und ob sich ein Sozialhilfeempfänger mit angerechnetem Kindergeld davon benachteiligt fühlt? Darauf bin ich sehr gespannt.
aus: Newsletter Steuern und Bilanzierung bei BWRMed!a vom 05.10.2009, Archiv: http://www.bwr-media.de/newsletter/sub/archiv.html