Unwissen

je mehr wir wissen, desto mehr wissen wir auch wieder nicht.

Klingt komisch, ist aber so.

Nehmen Sie mal eine beliebige Statistik. Zum Beispiel die, dass Fahrschüler im Osten Deutschlands häufiger durch die Theorieprüfung rauschen, als im Westen. Und in Hamburg häufiger durch die praktische Prüfung.

In Sachsen-Anhalt scheitern 44,4 Prozent der Fahrschüler im ersten Theorie-Anlauf. In den übrigen ostdeutschen Bundesländern sieht es nach Angaben des Kraftfahrzeugbundesamtes in Flensburg ähnlich aus – allesamt über 40 Prozent. Ebenso in Hamburg die Durchfallquote bei der praktischen Prüfung: mit 41 Prozent deutlich über dem Schnitt.

Warum? Man weiß es nicht so genau.

Bei der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände runzeln sie die Stirn. Ebenso beim ADAC. Keine Erklärung taugt. Fahrlehrer? Gleiche Richtlinien! PISA? Da schneiden Ossis nicht schlechter ab, als Wessis. Pädagogische Unterschiede? Niedrige Anmeldegebühren? Demotivation? „Alles Kaffeesatzleserei!“, meint Gerhard von Bressendorf, Vorsitzender der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände.

Noch ein Bereich also, über den wir nichts wissen.

Davon gibt es mehr als ich dachte. Passen Sie mal auf: Vor kurzem haben Kathrin Passig und Aleks Scholz das „Lexikon des Unwissens“ herausgebracht. Was da alles drin steht.

Die Erkältung zum Beispiel. Haufenweise Daten hat die Wissenschaft über sie hervorgebracht – über die wenigsten sind die Forscher sich einig. Nicht einmal die Frage, ob Sie sich überhaupt mit einer Erkältung anstecken oder auf welchem Weg Sie sich die sonst zuziehen, ist unumstritten. „Typisch für die Erkältungsforschung: Auch hier gibt es eine mehr als sorgfältig durchgeführte Studie, aus der das Gegenteil hervorgeht“, stellen die Autoren fest.

Oder die Frage, was mit Ihrem Auge passiert ist, dass Sie kurzsichtig werden: Solides Unwissen! Schlechte Angewohnheiten, die Gene, ungünstige Lichtverhältnisse, Computerarbeit – all diese Vermutungen sind ebenso gut belegt wie widerlegt. Das Lexikon enthält neben allzumenschlichen Bereichen des Unwissens wie Gähnen, das Vorhandensein von Leben oder Herbstlaub auch Spezialdisziplinen wie Hawaii oder Los-Padres-Nationalpark.

Oder die Laffer-Kurve. Volkswirte zaubern die Grafik von der Form eines auf dem Kopf stehenden U gern hervor, um zu zeigen, dass der Steuersatz weder zu hoch noch zu niedrig sein darf, um dem Staat auskömmliche Steuereinnahmen zu bescheren. Aber wo ist das Maximum? Bei 15 Prozent? Oder doch eher irgendwo zwischen 60 und 70 Prozent? Na?

Man weiß es nicht so genau.

Unwissen ist nicht einfach nur Nichtwissen. Sie müssen schon eine Menge erforscht haben, um mit Sokrates sagen zu können, was Sie nicht wissen.

aus: Newsletter Steuern und Bilanzierung bei BWRMed!a vom 16.07.2009, Archiv: http://www.bwr-media.de/newsletter/sub/archiv.html