trust

Meine Entdeckung des Jahres bereits am Neujahrstag ist ein Physiker, Anders Levermann, Mitglied im Weltklimarat und Professor am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung. Eine frohe Neujahrsbotschaft.

Erstmal kommt er in seinen Vorträgen beispielsweise auf der re:publica mit einem Riesen-Zaunpfahl: nämlich, dass und warum wir mit dem CO2 auf Null runter müssen, so schnell es geht. Weil wir sonst Hamburg, weite Teile unseres Weltkulturerbes und letztlich unsere Zivilisation und vermutlich auch Menschenrechte und Demokratie aufgeben.

Beim Klimawandel, so Levermann, geht es nicht darum, dass die Menschheit sterben wird – das Szenario haben vermutlich viele von uns vor Augen, schließlich kann die Erde wirklich sehr gut ohne uns Menschen zurechtkommen, wir aber nicht ohne sie. Vielmehr wird es durch die Folgen des Klimawandels zu Verlagerungen und größeren Verwerfungen kommen, von denen wir auch längst einige beobachten: Überflutungen, Dürrekatastrophen, Stürme, Hitzewellen. Und die würden uns dann womöglich alles kosten, was wir uns an zivilisatorischen Errungenschaften erarbeitet haben.

Dass und warum der jetzige Klimawandel menschengemacht ist, verstehe ich dank Levermann erstmals wirklich gut – wie es im Einzelnen zumindest grob zusammenhängt und warum die Dinge klimatisch so sind, wie sie sind, hab ich bisher noch nicht so stringent vermittelt bekommen. Warum genau Dürren und Hochwasser, Kälteeinbrüche und Hitzeperioden beide zunehmen können, wenn sich das Klima erwärmt.

Und er erklärt nicht nur, wie es physikalisch zu erklären ist und dass es passiert, sondern auch, dass man das nicht dank der Wetterbeobachtung oder Klimaforschung weiß, sondern bereits seit vielen Jahrzehnten aufgrund längst bekannter physikalischer Tatsachen. „In physics we trust“, sagt er.

All das hatte ich so vorher nicht voll begriffen und vermute mal, so geht es vielen von uns. Und er bringt nicht nur das Kunststück fertig: das wichtigste in knapp 30 Minuten zu vermitteln – sondern dabei auch noch Optimismus zu wecken. Und diesen ebenso gut und stringent mit physikalischen Argumenten zu begründen. trust in physics auch dadurch.

Was mir völlig neu war: es gibt Kipppunkte, die reversibel sind.

Nämlich das Abschmelzen des grönländischen Eises – das lässt sich durch Stopp des CO2-Ausstoßes verlangsamen oder auch umkehren. Je nachdem, wie gut wir darin werden. Während andere Kippunkte nicht reversibel sind, wie etwa das Eis der Westantarktis, auch das erklärt und begründet Levermann anschaulich.

Und das ist auch die eigentlich wichtigste Botschaft dabei: Wir sind in Sachen Klima noch lange nicht erledigt. Im Gegenteil: Es hat viel Sinn, CO2 einzusparen – und dabei geht es nicht nur ums Verhindern von Katastrophen, sondern darum, dass Dinge besser und schöner werden können.

Aber wir müssen etwas tun, sonst sind wir erledigt. Und ja, den Einfluss haben wir auch.

Kipppunkte hin oder her also – just do it. Wir müssen und können anders wirtschaften, weil die Dinge eben nicht einfach irgendwie vom Himmel hoch her kommen, wie die taz kürzlich titelte. CO2 auf null, emissionsfreie Energien und Antriebe. CO2 binden oder senken mit vielleicht dafür jetzt oder demnächst zur Verfügung stehenden Technologien. Rückkopplungsprozesse im Klima selbst in Gang setzen, die uns helfen. Darum geht’s.

Ein sehr schöner Zaunpfahl. Blumengeschmückt, wenn Sie so wollen.

Falls er die Hilflosigkeit vieler von mir sehr geschätzter Klimaforscher und forscherinnen teilt – Levermann lässt es sich nicht anmerken. Auf seiner Seite sind die Vorträge verlinkt, und auch sein Buch „Faltung der Welt“ kann ich wärmstens empfehlen.

Anders Levermann:
Tom Waits: Misery is the river of the world

Mach’s oder machen Sie’s gut – und besser.

Viele Grüße

Midia Nuri