Titanic

was verbinden Sie mit Kuckucksuhren, Würstchen und Schinken?

Die Fußballweltmeisterschaft? Nicht schlecht: Ziemlich warm. Bestechungsskandal? FIFA? DFB? Wärmer. Titanic, Satiremagazin? Heiß.

Wer sie nicht schon vorher kannte, nahm wohl spätestens im Jahr 2000 von der nun 30 Jahre alt gewordenen Satirezeitschrift „Titanic“ Notiz. 2000 nämlich – lange vor dem deutschen Sommermärchen – sollte der Weltfußballverband FIFA darüber entscheiden, wo die WM 2006 stattfinden sollte. Alles deutete auf Gleichstand zwischen Deutschland und Südafrika hin. In dem Fall hätte FIFA-Präsident Joseph Blatter die Entscheidung treffen müssen – und der galt als Süd-Afrika-Fan. In der Nacht vor der Abstimmung schickte daher die Titanic-Redaktion Faxe an alle FIFA-Delegierten und bot ihnen für ihre Stimme zugunsten Deutschlands als Gegenleistung: „eine original Kuckucksuhr sowie beste Würstchen und Schinken“. Der Neuseeländer Charles Dempsey enthielt sich der Stimme und erklärte: „This final fax broke my neck“. Bis zum Sommermärchen waren es Jahre hin. Nach einem Aufruf der Bild riefen neun Stunden lang aufgebrachte Bild-Leser im „Bergwerk des Humors“ (FAZ) an. Medien weltweit berichteten.

Meine Lieblingsaktion der Titanic war, als Titanic-Redakteure vor vielen Jahren inkognito an einem Infotisch in einer Fußgängerzone für irgendeinen Krieg Unterschriften sammelten. Zahlreiche Passanten brachten sie außerdem dazu, einen Fragebogen auszufüllen. Unter anderem sollten die Bürger darüber abstimmen, wo die Bundesregierung als nächstes einmarschieren solle. Zur Auswahl stand unter anderem das nicht existierende Land „Dondestan“. Hier zu intervenieren, forderte immerhin ein gutes Drittel der Befragten, wenn ich mich richtig erinnere.

Das hat mich beeindruckt, amüsiert und erschreckt zugleich.

Und was – wenn nicht das – ist da Ziel guter Satire?

Längst starten ja auch seriöse Medien gern entlarvende Spaßaktionen. Aufschlussreich, wichtig und nicht zuletzt auch ganz lustig. Hübsch fand ich die vor Jahren eingefädelte Telefonaktion „Minister telefonieren mit Amerika“. Da ließen sich Redakteure als amerikanische Minister getarnt zu ihren vorgeblichen deutschen Amtskollegen durchstellen, um ein wenig über das Ressort und seine Herausforderungen zu plaudern. Jahre her, Kohlzeiten noch: Postminister Bötsch, Landwirtschaftsminister Borchert und Forschungsminister Wissmann.
Die Kuckucksuhrenaffäre hatte neben einer Ausstellung und dem Buch „Wie wir einmal die Fußball-WM nach Deutschland holten“ übrigens ein juristisches Nachspiel: Der Deutsche Fußballbund (DFB) setzte eine Unterlassungserklärung gegen den damaligen Chefredakteur Martin Sonneborn durch. Super-Werbung, diese Prozesse, 55 hatte die Titanic insgesamt. Aber auch ein unkalkulierbares Finanzrisiko, das die Crew mehrfach an den Rand der Pleite schwemmte. Die Bilanz: verkaufte Auflage – stabil zwischen 60.000 und 70.000, verbotene Ausgaben – 35, Anzeigenkunden – keine. Dafür ein gesundes Selbstvertrauen. „Schon nach dem 11. September hat sich Titanic so gut verkauft wie nie zuvor“, erklärt der langjährige Ex-Chefredakteur Sonneborn in einem der vielen Geburtstags-Interviews. „Und gerade zeigt sich, dass unser Konzept, ein Magazin ohne Anzeigen zu machen, Trendsetter-Qualitäten hat: Alle anderen Printmedien ziehen derzeit nach.“
Satire ist, wenn’s wehtut eben. Und Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

aus: Newsletter Steuern und Bilanzierung bei BWRMed!a vom 13.10.2009, Archiv: http://www.bwr-media.de/newsletter/sub/archiv.html