Stauindikator

Zweckoptimismus hat noch nie geschadet. Nicht, wenn es um Staus geht…

Der tägliche Stau addiert sich in Moskau mittlerweile auf rund 900 Kilometer Länge. Beachtlich, wo doch die ganze Stadt selbst vielleicht 30 mal 40 Kilometer misst.

Wo sie also reinfahren, staut es sich gerade…

Die Zeiten jedenfalls, von denen das Magazin Focus vor gut zweieinhalb Jahren noch berichtete – „Tempo 120 in der Innenstadt ist keine Seltenheit.“ – sind ganz offensichtlich vorbei.

Kein Grund zur Panik. Hat alles seine guten Seiten, beruhigte die Wirtschaftszeitung Vedomosti vor kurzem. Schließlich zeuge der Riesenstau von gestiegenem Wohlstand. „Noch keine 20 Jahre zurück hätten wir alle auf irgendwelchen Haltestellen gefroren und den liegen gebliebenen Bus verdammt“, erinnert das Blatt. „Heute fluchen wir in beheizten Innenräumen, und das Autoradio erlaubt es sogar, den Tag mit etwas Kultur zu ergänzen.“ Außerdem könnten die Moskowiter ihre eingerosteten Fahrkünste so erproben und verbessern. Nicht zuletzt sei das die perfekte Gelegenheit, das Leben der „Normalrussen“ kennen zu lernen. „Steigen Sie doch zur Hauptverkehrszeit in die Metro, versuchen Sie, sich an der Rolltreppe vorzudrängeln, lassen Sie sich im stickigen U-Bahnwaggon ordentlich durchschütteln und überzeugen Sie sich davon, dass Werbung noch dümmer sein kann als im Fernsehen“, empfiehlt das Blatt. „Es gibt schließlich Schlimmeres als einen Stau“.

Staatseinfluss auf die Medien, ick hör dir trapsen? Habe ich auch kurz gedacht…

Aber das ist zumindest sehr unwahrscheinlich. Schließlich ist die Vedomosti keines dieser staatlich gelenkten Medien, sondern ein Gemeinschaftsprojekt von Financial Times, Wall Street Journal und dem russischen Verlagshauses Independent Media Sanoma Magazines ID. Über jeden Zweifel erhabenen Qualitätsmedien also. Und das Verlagshaus? In finnischer Hand.

Also wahrscheinlich: Positivdenken eines Redakteurs, der sich jeden Tag zwischen Hochkultur im Auto und Trash-Werbung in der Bahn entscheiden muss…

Und vielleicht liegt er ja mit der These vom gestiegenen Wohlstand nicht mal falsch. Die Oligarchen sind ja längst legendär reich. Aber dass es dem gemeinen Volk auch etwas besser zu gehen scheint, dafür spricht, dass demnächst Burger King nach Russland kommt – drei Restaurants sollen in Moskaus Einkaufszentren eröffnen. „Die Amerikaner hofften wohl darauf, dass die Russen in der Krise öfter auf das schnelle und verhältnismäßig billige Essen zurückgreifen würden“, schreibt die russische Tageszeitung Kommersant. McDonald’s ist seit 20 Jahren da. Wenn da Platz für zwei ist, will das in diesen schlechten Zeiten schon was heißen.

Vergessen Sie nicht, dass sich gerade erst Mc Donald’s nach der Staatspleite aus Island zurückgezogen hat. Die Isländer besuchten zwar offenbar auch noch die Burger-Restaurants. Aber wegen der wertlos gewordenen Währung wuchsen die Kosten und die Gewinne brachen ein. Vielleicht sind das ja die neuen Konjunktur-Indikatoren: Stau und Burger-Restaurants…

aus: Newsletter Steuern und Bilanzierung bei BWRMed!a vom 15.02.2010, Archiv: http://www.bwr-media.de/newsletter/sub/archiv.html