Ausgehebelt? Nicht doch…

Nichtanwendungserlasse sind so eine Sache. Mit ihnen hebelt die Bundesregierung per Amtserlass unliebsame höchstrichterliche Urteile aus. Diese gelten dann nur noch in dem speziellen Fall. Und für alle, die mit Verweis darauf Einspruch und notfalls Klage erheben.

Sie riechen nach Übervorteilung. Und sind in den vergangenen Jahren oft Anlass für Streit gewesen.

Vor der vergangenen Bundestagswahl versprach denn auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Koalitionsvertrag, von dieser Praxis Abstand nehmen zu wollen. Gut, was sie gesagt haben, war mal wieder die eine Sache. Was sie seither tun, etwas anderes. Fakt: Schon in den ersten 111 Tagen ihrer Amtzeit zählte der Bund der Steuerzahler drei Nichtanwendungserlasse. „Das dürfte so noch keine Regierung geschafft haben“, schimpfte damals Karl Heinz Däke, Präsident des Bundes der Steuerzahler.

Die Regierung lernt offenbar dazu. Oder hat sich mal mit einem Rechtsanwalt unterhalten. Und zeigt nun: Es geht auch anders, wenn auch nicht unbedingt besser: per Gesetzesänderung, ganz einfach. Lästige Diskussionen um Übervorteilung entfallen, schon weil das Parlament hübsch demokratisch eingebunden ist.

Aber die Gesetzesänderung hat auch noch ein paar andere, aus Sicht der Regierung sicher unbestreitbare Vorteile: zum Beispiel den, dass die zuvor höchstrichterlichen – rechtskräftigen – Urteile nun nicht mehr viel wert sind. Schließlich wurden sie ja auf einer anderen Gesetzesgrundlage gesprochen – wenn auch nur formal.

Wie praktisch.

Zum Vergleich: Wer sich in einer ähnlichen Ausgangslage wie der vom BFH beurteilte Fall befand, konnte und kann sich immerhin nach einem Nichtanwendungserlass leicht durchklagen. Nach einer Gesetzesänderung werden die Karten dagegen neu gemischt. Auch dann müssen sich Bürger in ähnlicher Lage selbst hochklagen. Allerdings auf einer neuen Gesetzesgrundlage.

Sie haben also plötzlich kein Urteil mehr, auf das sie verweisen können.

Klar, schließlich gilt ein neues Gesetz. Mehr als durchsichtig allerdings, wenn das praktisch identisch mit der alten Rechtslage ist.

So wie im jüngsten Fall, bei dem die Bundesregierung nach den nun schon halbdutzendfach gesprochenen Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) das Gesetz änderte. Darüber steht heute ein Artikel von mir in der Welt am Sonntag. Bitteschön.

Klagen dürften in dem Fall übrigens beste Chancen haben. Schließlich ändert das neue Gesetz praktisch nichts. Außer der Ausgangslage für potenzielle Kläger.