Rollfilm

wahrscheinlich halten Sie die Erinnerungen an launige Sonntagsausflüge oder die ersten Schritte Ihres Kindes auch mit der Digitalkamera oder dem Fotohandy fest. Erinnern Sie sich noch an den guten alten Rollfilm?

Also an dieses Gewurschtel, das Sie wahrscheinlich auch früher mal vor dem Fotografieren veranstaltet haben? Wo Sie vorsichtig die kleinen Nippel irgendeines Wälzchens durch die Laschen Ihres sorgfältig eingelegten Films drücken mussten? Und dann nach oben oder links – so genau weiß ich es nicht mehr – ziehen und gleichzeitig einen Hebel spannen und einen Knopf drücken mussten. Am besten alles zusammen, damit Sie auch wirklich eine dritte Hand zu Hilfe bitten mussten – wenn Sie sich denn mit dem zwischen die Zähne geklemmten Taschenhenkel noch artikulieren konnten. Das war etwas für wahre Künstler. Heute vor genau 124 Jahren hat George Eastman für diesen Rollfilm das US-Patent erhalten. Nummer 317,049.

Erfunden haben soll der Kodak-Gründer den Rollfilm ja nicht. Das soll John Wesley Hyatt gewesen sein, schon vor 140 Jahren. Die Frage ‚Wer hat’s erfunden?’ zieht sich eben nicht nur durch die Werbung, sondern durch die ganze pralle Technikgeschichte. Die Glühbirne hat offenbar nicht Thomas Alva Edison erfunden, wie mir mein Physiklehrer seinerzeit erzählt hat – wenn auch wohl die von Edison patentierte Leuchte mit Bambusfaden besonders haltbar war. Und der Buchdruck soll in China auch schon um das Jahr 1040 herum verbreitet gewesen sein, lange bevor Johannes Gutenberg ihn technisch verbesserte und wirtschaftlich nutzbar machte. Und auch die Dampfmaschine ist offenbar nicht von James Watt, sondern von Thomas Newcomen.

Wer es erfunden – oder auch: herausgefunden – hat, das ist heute wichtiger denn je. Auch und gerade in der Wissenschaft, wo Karrieren mehr denn anderswo darauf beruhen, ob sich die Experten einen Namen gemacht haben. Das hat lustige Auswüchse. Zum Beispiel den, dass die Autorenliste von wissenschaftlichen Fachartikeln zuweilen länger ist als das Abstract. Hätten Sie gedacht, dass es heute offenbar nicht unüblich ist, dass Autorenlisten mehr als ein paar hundert Personen umfassen? Ich jedenfalls nicht. Gab es 2003 noch 40 Monsterpublikationen von über 500 Autoren, waren es 2005 ganze 131.

Den Rekord halten die Physiker – das hätte ich denen mit ihren astronomischen Zahlen auch ohne weiteres zugetraut. 2512 Autoren haben 2006 eine Publikation über irgendwas mit elektroschwacher Z-Resonanz verfasst. Das Autorenverzeichnis umfasste 14 Seiten. Autoren aus 100 verschiedenen Institutionen – neben Deutschland unter anderem auch in Australien, Belgien, China, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Japan, Kanada, den Niederlanden, Polen, Ungarn, der Schweiz, Schweden oder Tschechien. Den Rekord haben sie den 2458 Medizinern abgejagt, die über Herzkrankheit und mild erhöhten Cholesterolspiegel bei Japanern geforscht und geschrieben haben. Wie wohl die Zusammenarbeit funktioniert hat? Eine echte Kunst, vermute ich.

aus: Newsletter Steuern und Bilanzierung bei BWRMed!a vom 05.05.2009, Archiv: http://www.bwr-media.de/newsletter/sub/archiv.html